Rollentausch in Deutschland. FDP und Grüne sondieren untereinander auf dem Weg in eine gemeinsame Regierung. Wahlsieger Olaf Scholz bekräftigte zwar am Montag seinen Anspruch auf das Kanzleramt. „Die Wähler haben klar gesprochen“, so Scholz, der die SPD zu 25,7 Prozent führte und eine Ampelkoalition (Rot-Gelb-Grün) anstrebt: Die Union kam auf 24,1 Prozent und will ein Bündnis mit Grünen (14,8 Prozent) und FDP (11,5 Prozent), auch Jamaika genannt. Nach dessen Scheitern vor vier Jahren will Lindner aber als Erstes atmosphärische Störungen ausräumen.
Die Tendenz geht Richtung Jamaika. Aber die Union sollte sich nicht täuschen. Die schwächeren Partner lassen sich dieses Mal nicht gegeneinander ausspielen. Lindners Trumpf: Er kennt Laschet, er hat mit ihm vor vier Jahren eine schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen besiegelt.
Habecks Vorteil: Als Umweltminister sammelte er in Schleswig-Holstein Erfahrung mit Jamaika. Klingt alles nicht ermutigend für die SPD und die Ampel.
Christian Lindner, FDP: Der Regisseur
Es gibt keine Kleinen mehr. Das hat Deutschland zuletzt nicht nur im Fußball erfahren. Seit der Bundestagswahl ist auch klar. Auch die Großen sind verschwunden. Und so übernimmt ein anderer die Regie in diesen Nachwahltagen: Christian Lindner. „Grüne und FDP verbindet, dass beide einen eigenständigen Wahlkampf geführt haben“, sagt der Parteichef der Liberalen. Das klingt völlig neu. Hatte Lindner nicht im Wahlkampf stetig gegen die Grünen als „Verbotspartei“ gewettert? Nun nach der Wahl unterstreicht der Liberale plötzlich die Gemeinsamkeiten.
„Beide haben sich gegen den Status quo der Großen Koalition gewandt“, sagt er. Es verschiebt sich etwas in den politischen Kräfteverhältnissen in Deutschland. Lindner hatte die FDP-Führung vor acht Jahren übernommen. Damals war die FDP aus dem Bundestag geflogen. Vier Jahre später führte er die Liberalen zurück, verweigerte sich aber einem Jamaika-Bündnis von Schwarz-Gelb-Grün. Ein Motiv: Lindner fürchtete aufgerieben zu werden zwischen Union und Grünen.
Dieses Mal soll es anders laufen. Auch Lindner wünscht das. Auch deshalb geht er auf die Grünen zu. Lindner versteht sich prächtig mit Unionskandidat Armin Laschet. Doch fürchtet er ein Dreierbündnis ohne inneres Gleichgewicht. Auch aus eigenem Interesse. „Wildsau“, „Gurkentruppe“, das waren die gegenseitigen Beschimpfungen in der letzten Koalition mit der Union nach 2009. Vier Jahre später stand die FDP vor den Türen des Bundestags. Die Geschichte darf sich nicht wiederholen.
Robert Habeck, Grüne: Zurück auf der Bühne
Die Degradierung nach der Wahl erfolgte selbst. „Ich bin wieder Ko-Vorsitzende“, sagte Annalena Baerbock und machte klar, was das bedeutet: Die Gespräche auf dem Weg in eine „Klimaregierung“ werde sie „gemeinsam mit Robert Habeck“ führen. Kurzum: Habeck ist zurück auf der Bühne.
„Man muss es in jeder Hinsicht anders machen“, sagte der Grünen-Frontmann. Er sprach nicht über den Wahlkampf der Kanzlerkandidatin, die weit hinter manchen Hoffnungen zurückblieb. Habeck wäre selbst gern angetreten, scheiterte aber an Baerbock. Sie habe die „Frauenkarte“ gespielt, ließ er seinen Schmerz erkennen. Baerbock und Habeck könnten unterschiedlicher nicht sein. Ein Jahr lang Straßentheater im Süden, steht im Lebenslauf des promovierten Philosophen. Nun ist er zurück im Zentrum. Nach einem gemeinsamen TV-Aufritt bei Anne Will in der Vorwoche ging er mit Lindner auf ein Cola. Vor seinem Wechsel nach Berlin stand er in Schleswig-Holstein ebenfalls vor der Wahl zwischen SPD und Union. Er entschied sich für Jamaika. Es wird spannend – auch wie es bei den Grünen weitergeht. So ganz klappte die Übergabe nicht auf offener Bühne. „Ich dachte, du übernimmst mein Mikrofon“, scherzte Baerbock am Wahlabend. Doch Habeck griff in die Gesäßtasche der grauen Jeans und schnappte sich sein eigenes Mikro. Der Mann macht jetzt sein eigenes Ding.