Zuletzt hat es vor wenigen Wochen die Salzbachtalbrücke (Bild) getroffen: Die Fahrbahn der viel befahrenen Route im Rhein-Main-Gebiet nahe der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden war um dreißig Zentimeter abgesackt. Nichts mehr zu machen. Die Brücke muss gesprengt werden. Der Verkehr auf der Autobahn ruht. Lastwagen und Autos quälen sich über eine enge Bundesstraße. So sieht es heute aus in der maroden Republik Deutschland.
Nach außen gibt man gern die starke Exportnation und glänzt mit Weltmarktführern von A wie Allianz und Audi über B wie Biontech und BASF bis Z wie Zickler-Traubenwagen und Zeiss. Im Innern aber quält sich das Land mit einer ausgelaugten Infrastruktur. In der Corona-Krise wurden Infektionszahlen mit Faxgeräten übermittelt, bei der Flut an Ahr und Erft wurde statt auf Warn-Apps auf Sirenen gesetzt, aber selbst die blieben stumm. Trotz eines milliardenschweren Digitalpakts Bildung fehlte es während der Pandemie an Internetzugängen in den Schulen. Und der Zustand vieler Schultoiletten ist so übel, dass laut einer Umfrage unter Eltern dort jedes Dritte Kind den Gang zum WC scheut. Ausstattung: mangelhaft.
Das gilt auch für den Straßenverkehr. Deutschlands Pendler kennen das. Nicht nur im Rhein-Main-Gebiet um Frankfurt, sondern auch rheinabwärts um Leverkusen oder Duisburg. Nach Routinechecks heißt es oft: Nichts geht mehr. Viele Brücken sind zu kaputt. "Rund 3000 Brücken weisen einen ungenügenden Zustand auf", so Stephan Krenz, Geschäftsführer der bundeseigenen Autobahn GmbH, welche die nötigen Bauarbeiten vorantreibt. 1,5 Milliarden Euro stellt der Bund pro Jahr für Brückensanierungen bereit. Dennoch bessert sich die Lage kaum: Jede zehnte Autobahnbrücke im Autobauerland Deutschland ist laut Bundesverkehrsministerium sanierungsbedürftig.
So wie die Salzbachtalbrücke in Hessen. Von einer „Katastrophe“ spricht der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne). Er verweist auf den Bund und CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer. "Es ist wichtig, dass da mal einer sitzt, der nicht von der CSU ist und sich vor allen Dingen auch für die Verkehrspolitik interessiert", so Al-Wazir in der "Frankfurter Rundschau". Der seit der Maut-Pleite angeschlagene CSU-Mann aus Passau gibt die Vorwürfe zurück. Die Sanierungsplanung lag bis zuletzt in den Händen der Länder, erst zum Jahresbeginn übernahm die Autobahn GmbH.
Jenseits gesplitteter Zuständigkeiten im föderalen Bundesstaat gibt es andere Gründe für die missliche Lage. Viele Bauwerke im Straßenverkehr stammen wie die Salzbachtalbrücke aus den 1960er-Jahren. 1963 errichtet war die Überführung für 20.000 Fahrzeuge pro Tag ausgelegt, heute muss sie das Vierfache bewältigen. Doch die Infrastruktur wuchs nicht mit. In den 1970er-Jahren fehlte nach Öl- und Wirtschaftskrise Geld, nach 1989 und der Vereinigung wurde zunächst der Ost-Aufbau vorangetrieben, dann verschrieb sich Deutschland finanzpolitisch dem Ziel der Schwarzen Null. "Wir leben von der Substanz", klagen etwa die Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz und Anja Hajduk.
Deutschland bröckelt und bröselt. Das Ergebnis kann besichtigt werden. Nicht nur auf der Straße. Beim Breitbandnetzausbau liegt Deutschland mit einem Anteil von schnellen Glasfaseranschlüssen von 2,6 Prozent im OECD-Vergleich weit hinten. Binnenschiffer klagen über marode Schleusen, die im Durchschnitt 75 Jahre alt sind. Auch beim Schienenverkehr hakt es: Deutschland liegt laut Allianz Schiene bei jährlichen Investitionen ins Bahnnetz von 69 Euro pro Bundesbürger. Zum Vergleich: In Österreich sind es 187 Euro, in der Schweiz gar 362 Euro. So überbieten sich die Parteien jetzt im Wahlkampf mit Investitionsforderungen. Die anstehende Verkehrswende und die nötigen Ladesäulen für Elektroautos machen die Infrastrukturoffensive umso dringlicher.
Der Investitionsstau ist für Deutschland mittlerweile peinlich. Es gibt viel zu tun. Niemand packt es an.