Israel bezeichnet den Angriff der radikalislamischen Hamas als sein "9/11" – in Anspielung auf den Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 in New York. Der Drahtzieher der Attacke, der militante Palästinenser Mohammed Deif, nennt ihn "Al-Aqsa-Flut". Seit zwei Jahren habe der kaum in der Öffentlichkeit auftretende Hamas-Kommandant diesen Großangriff geplant, sagt eine der Hamas nahestehende Person.

Vergeltungsaktion für 2021

Dies als Vergeltungsaktion für die gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem Tempelberg in Jerusalem im Mai 2021. "Auslöser waren Szenen und Videos, in denen israelische Einheiten während des Ramadan die Al-Aksa-Moschee stürmten, die Gläubigen schlugen und Männer aus der Moschee zerrten." Die Stürmung der drittwichtigsten Stätte des Islams versetzte die muslimische Welt in Aufruhr.

Die Entscheidung zur Vorbereitung des Angriffs, der am 7. Oktober losbrach und 1200 Israelis das Leben kostete, haben dem Insider zufolge zwei führende Hamas-Mitglieder gemeinsam getroffen: Deif als Befehlshaber der Al-Qassam-Brigaden der Hamas und Jahja Al-Sinwar, Führer der Hamas im Gazastreifen. Es sei aber klar, wer der Drahtzieher sei: "Es gibt zwei Köpfe, aber nur ein Mastermind", sagt die Person mit Zugang zur Hamas. Nur eine Handvoll Führer der radikalislamischen Palästinenserorganisation habe über die Operation Bescheid gewusst. Auch eine Person aus israelischen Sicherheitskreisen bestätigt: Deif war direkt in die Planung und Ausführung des Angriffs involviert.

Hamas-Kommandant unter meistgesuchten Personen 

Seit Jahrzehnten steht der Hamas-Kommandant auf der Liste der meistgesuchten Personen Israels. Er wird persönlich für den Tod Dutzender Israelis bei Selbstmordattentaten verantwortlich gemacht. Deif hat sieben israelische Attentatsversuche überlebt, den letzten im Jahr 2021. Er hält selten Reden und tritt nie in der Öffentlichkeit auf. Es gibt nur drei Bilder von ihm. Nur auf einem davon ist sein Gesicht klar zu erkennen – es zeigt ihn als jungen Mann in seinen Zwanzigern. Als der Fernsehsender der Hamas für Samstag eine Rede von Deif ankündigt, wissen die Palästinenser deshalb, dass etwas Bedeutendes im Gange ist.

"Heute explodiert die Wut von Al Aqsa, die Wut unseres Volkes und unserer Nation", sagt er in der ausgestrahlten Audioaufnahme mit ruhiger Stimme. Die Hamas habe Israel wiederholt ermahnt, seine Verbrechen gegen die Palästinenser einzustellen und Gefangene freizulassen, die misshandelt und gefoltert würden. "Jeden Tag stürmen die Besetzer unsere Dörfer, Städte und Gemeinden im Westjordanland und plündern Häuser, töten, verletzen, zerstören und verhaften."

Der militante Anführer wurde 1965 als Mohammad Masri im Flüchtlingslager Khan Yunis geboren, das nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1948 errichtet wurde. Er wurde als Mohammed Deif bekannt, nachdem er sich 1987 während der ersten Intifada – des palästinensischen Aufstands – der Hamas angeschlossen hatte. Sein Aufenthaltsort ist unbekannt. Höchstwahrscheinlich hält er sich im Tunnellabyrinth des Gazastreifens auf, dessen Ausbau er selbst vorangetrieben hat. Für Deif ist es eine Frage von Leben und Tod, im Schatten zu agieren.

Hamas-Quellen zufolge verlor er bei einem der israelischen Attentatsversuche ein Auge und erlitt schwere Verletzungen an einem Bein. Seine Frau, sein sieben Monate alter Sohn und seine dreijährige Tochter wurden 2014 bei einem israelischen Luftangriff getötet. Sein Überleben als Anführer des bewaffneten Flügels der Hamas hat ihm den Status eines palästinensischen Volkshelden eingebracht. Moderne Digitaltechnik wie Smartphones benutze er nicht, sagt die der Hamas nahestehende Person. "Er ist schwer fassbar. Er ist der Mann im Schatten."

Streng geheime Vorbereitung

Auch die "Al-Aqsa-Flut" wurde im Dunkeln vorbereitet. Die Geheimhaltung war so groß, dass der Iran, Israels Erzfeind und Verbündeter der Hamas, nur allgemein wusste, dass die Bewegung eine größere Operation plante, wie eine mit den Überlegungen der Hamas vertraute Person aus der Region sagt. Zwar ist das Regime in Teheran eine wichtige Quelle für Finanzen, Ausbildung und Waffen für die Hamas. Doch es sei weder über den Zeitpunkt noch die Details der Operation informiert worden, sagt der Insider. Es habe keine gemeinsamen Besprechungen gegeben, an denen die palästinensische Führung der Hamas, die vom Iran unterstützte libanesische militante Hisbollah und der Iran beteiligt waren. "Es war ein sehr kleiner Kreis."

Der von Deif ausgearbeitete Plan beinhaltete ein langwieriges Täuschungsmanöver. Die Hamas gaukelte Israel vor, dass sie nicht an einem Konflikt interessiert sei und sich stattdessen auf die wirtschaftliche Entwicklung im Gazastreifen konzentriere, wie ein Eingeweihter sagt. Unterdessen habe die Organisation ihre Kämpfer ausgebildet, oft vor den Augen des israelischen Militärs. "Wir haben uns zwei Jahre lang auf diesen Kampf vorbereitet", sagt Ali Baraka, Leiter der Außenbeziehungen der Hamas. Die Tatsache, dass Israel von dem Großangriff völlig überrascht wurde, wird von Experten als eines der verheerendsten Versäumnisse in der Geschichte der Geheimdienste bezeichnet.