Die radikalislamische Hamas hat am Donnerstag nach eigenen Angaben erneut Raketen auf Tel Aviv abgefeuert. Die Attacken seien eine Reaktion auf israelische Luftangriffe, die sich gegen Zivilisten in zwei Flüchtlingslagern gerichtet hätten, teilte die Palästinenserorganisation mit. Israel hatte Donnerstagfrüh nach Berichten von AFP-Korrespondenten Dutzende Luftangriffe in Richtung des Flüchtlingslagers Al-Shati und im Norden des Gazastreifens ausgeführt. Augenzeugen zufolge wurde auch Gaza-Stadt aus der Luft bombardiert. Hamas-Behörden meldeten außerdem einen Luftangriff auf das Flüchtlingslager Jabalija. Von der Hamas kontrollierte Medien berichteten, 15 Palästinenser seien getötet worden.
Ein israelischer Militärsprecher betonte angesichts von Bildern weitreichender Zerstörungen im Gazastreifen, es gebe "kein Flächenbombardement" in dem Palästinensergebiet. "Wir greifen kein Ziel an, das nicht auf Geheimdienstinformationen basiert", erklärte Sprecher Richard Hecht. Die Angriffe seien zwar "größer als alles, was wir bisher gesehen haben", sagte er. Die Armee bekomme aber jeweils konkrete Informationen darüber, wo militante Palästinenser sich versteckten. "Wenn eine beteiligte Person sich versteckt, werden wir (die Zivilbevölkerung) vor dem Angriff warnen", sagte er. "Menschen, die gehen wollen, gehen dann."
Die Zahl der bei Luftangriffen getöteten Palästinenser stieg unterdessen auf mindestens 1.203 gestiegen. Rund 5.800 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza mit.
Tote im Westjordanland
Vier Palästinenser seien bei einer Konfrontation mit israelischen Siedlern und Soldaten südlich von Nablus erschossen worden, teilte das Gesundheitsministerium in Ramallah am Mittwoch mit. Die israelische Armee meldete, Soldaten in der Gegend hätten von Schüssen berichtet. Der Vorfall werde untersucht. Unklar war zunächst, ob die Getöteten einer militanten Gruppierung angehört hatten. Damit sind seit Samstag bei mehreren Vorfällen 25 Palästinenser im Westjordanland getötet worden.
Massive Raketenangriffe
Die beiden militanten Palästinensergruppen Hamas und Islamischer Jihad griffen den Süden und das Zentrum Israels am Mittwoch nach eigenen Angaben massiv mit Raketen an. Ein Krankenhaus in Ashkelon im Süden Israels meldete Beschuss mit Raketen. Diese seien aus dem Gazastreifen abgefeuert worden, teilte das Krankenhaus mit. Es gebe Schäden am Gebäude, aber keine Verletzten, sagte eine Sprecherin.
Die Al-Quds-Brigaden, der bewaffnete Arm des Islamischen Jihad, erklärte, sie attackierten die Städte Tel Aviv, Ashdod und Ashkelon sowie Gemeinden in der Nähe zum Gazastreifen mit "schwerem Raketenfeuer". Die Izz-ad-Din-al-Qassam-Brigaden, der bewaffnete Flügel der Hamas, erklärte, sie hätten eine Rakete auf den Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv abgefeuert, wo israelische Behörden jedoch keinen Einschlag meldeten.
Zuvor waren bei neuen israelischen Angriffen auf den Gazastreifen in der Nacht zum Mittwoch in dem Palästinensergebiet nach Hamas-Angaben mindestens 30 Menschen getötet worden. Hunderte weitere Menschen seien zudem verwundet worden, teilte das Medienbüro der Hamas-Regierung der Nachrichtenagentur AFP mit. Es habe in der Nacht mehrere hundert israelische Luftangriffe gegeben.
Wohnhäuser, Moscheen, Geschäfte getroffen
Bei den israelischen Angriffen seien dutzende Wohnhäuser, Fabriken, Moscheen und Geschäfte getroffen worden, erklärte das Medienbüro weiter. Am Mittwoch wurde zudem nach Angaben eines AFP-Korrespondenten die mit der radikalislamischen Hamas verbundene Islamische Universität in Gaza bombardiert. Dabei wurden laut einem Universitätssprecher mehrere Gebäude des Komplexes zerstört.
Das israelische Militär bestätigte seinerseits neue Angriffe auf den Gazastreifen. Kampfflugzeuge hätten in der Nacht mehr als 200 Ziele in einem Viertel von Gaza-Stadt getroffen, das die Hamas am Samstag für ihre Angriffswelle genutzt hatte. Dabei hätten israelische Kampfflieger auch ein Radarsystem der Hamas zerstört. "Kampfjets haben ein fortschrittliches Radarsystem zerstört, das die Terrororganisation Hamas entwickelt hat und das zur Erkennung von Flugkörpern über dem Gazastreifen diente", hieß es in einem X-Post der Armee. Die Hamas habe über Jahre ein hochwertiges Kameranetz entwickelt, das in Wasserbehältern auf Dächern versteckt über den ganzen Gazastreifen verteilt worden sei.
1200 Tote in Israel
Die Zahl der Toten in Israel durch die Hamas-Großangriffe ist nach Armeeangaben auf mehr als 1.200 gestiegen. Mindestens 3.000 weitere seien verletzt worden. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen in dem dicht besiedelten Küstenstreifen. Die Zahl der bei israelischen Gegenangriffen Israels im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist am Mittwoch auf mindestens 1.100 gestiegen. Über 5.300 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium in Gaza mit.
Nach UNO-Angaben sind seit beginn der israelischen Gegenschläge mehr als 260.000 Menschen aus ihren Häusern geflohen. "Mehr als 263.934 Menschen im Gazastreifen haben mutmaßlich ihre Häuser verlassen", erklärte am Dienstagabend das UNO-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) in Genf. "Diese Zahl dürfte noch steigen."
Die Zahl der Binnenvertriebenen im Gazastreifen sei die höchste Zahl seit 2014, erklärte das UNO-Büro weiter. Fast 175.000 Betroffene hätten Zuflucht in 88 von der UNO betriebenen Schulen gefunden. Rund 14.500 weitere Menschen kamen den Angaben zufolge in Schulen unter, die der Hamas-Regierung unterstehen. Rund 74.000 Flüchtende wurden von Verwandten oder Bekannten aufgenommen.
Schlimmste Blutbad seit Gründung Israels
Die Hamas, die von den USA, der EU und Israel als Terrororganisation eingestuft wird, hatte am Samstag bei einem Großangriff auf das Grenzgebiet das schlimmste Blutbad unter Zivilisten seit der israelischen Staatsgründung angerichtet. Die Terroristen drangen am jüdischen Feiertag Simchat Tora (Freude der Tora) in Orte ein und suchten in den Häusern nach Opfern. Dabei erschossen sie Männer, Frauen und Kinder und verschleppten andere in den Gazastreifen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu schwor am Sonntag "Rache".
Oberst Berthold Sandtner von der Landesverteidigungsakademie hält einen Einmarsch Israels in den Gazastreifen jederzeit für möglich. Es seien bereits alle Voraussetzungen dafür geschaffen, sagte er in der "ZiB2" des ORF am Dienstagabend. "Offensichtlich fehlt noch die politische Freigabe dazu." Sandtner erwartet, dass Israel nun "mit dem Vorschlaghammer" vorgehen wird. Er erinnerte auch daran, dass Israel angekündigt hat, diesmal "die Hamas in den Grundfesten erschüttern und ausrotten" zu wollen.
Welt steht auf der Seite Israels
US-Präsident Joe Biden sagte dem Verbündeten die Unterstützung der Supermacht zu. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ermahnte Israel, sich an das Völkerrecht zu halten. Der palästinensische Gesandte bei den Vereinten Nationen bezeichnete die israelische Bombardierung des Gazastreifens und die vollständige Blockade der von der radikalen Palästinenserorganisation Hamas kontrollierten palästinensischen Enklave als "nichts weniger als Völkermord". "Diese eklatante Entmenschlichung und die Versuche, ein Volk in die Unterwerfung zu bomben, Hunger als Methode der Kriegsführung einzusetzen und seine nationale Existenz auszulöschen, sind nichts weniger als Völkermord", schreibt der palästinensische UNO-Gesandte Riyad Mansour in einem Brief an den UNO-Sicherheitsrat, den die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte. "Das sind Kriegsverbrechen."
Biden verurteilte in einer Fernsehansprache in scharfen Worten den Angriff der Hamas auf Israel. Das Land habe einen Moment des "reinen, unverfälschten Bösen" erlebt, sagte er. Er sagte weitere Unterstützung zu.
US-Außenminister Antony Blinken will nach dem Großangriff der Hamas neben Israel auch Jordanien besuchen. Er werde am Mittwoch aufbrechen, hieß es in einer Mitteilung des US-Außenministeriums am Dienstag. Zuvor hatte ein Sprecher gesagt, dass Blinken am Donnerstag in Israel eintreffen werde. Ziel der Reise in den Nahen Osten sei es, über die Stärkung der Sicherheit Israels zu sprechen und "die unerschütterliche Unterstützung der Vereinigten Staaten für das Recht Israels auf Selbstverteidigung zu unterstreichen".
Die USA haben einen Flugzeugträger in Richtung Israel entsandt. Zudem sprach die US-Regierung nach eigenen Angaben mit israelischen Vertretern über die Möglichkeit, einen sicheren Korridor für Zivilisten im Gazastreifen einzurichten. "Wir konzentrieren uns auf diese Frage", sagte der für die nationale Sicherheit zuständige Sprecher Jake Sullivan. Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben erste Munition aus amerikanischen Beständen erhalten.
Die USA sehen derzeit keine Hinweise auf eine direkte Beteiligung des Iran am Großangriff der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte am Dienstag, Teheran sei zwar bereits seit Jahren ein wichtiger Unterstützer der Hamas. "Aber in diesem konkreten Fall haben wir keinerlei Belege dafür, dass es eine direkte Beteiligung bei der Planung oder Ausführung dieses Angriffs gab."
Israel hat 300.000 Reservisten einberufen, was Spekulationen über eine Bodenoffensive genährt hat. Zudem hat die Regierung angekündigt, den Gazastreifen komplett abzuriegeln. "Israel hat das Recht, sich zu verteidigen, aber es muss im Einklang mit dem Völkerrecht, dem humanitären Recht stehen", sagte der EU-Außenbeauftragte Borrell. Mit Verweis auf die Abriegelung ergänzte er: "Einige Entscheidungen stehen im Widerspruch zum Völkerrecht."
Terroristen hatten am Samstag im Auftrag der im Gazastreifen herrschenden Hamas ein Massaker unter israelischen Zivilisten in Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet. Die Zahl der Toten liegt nach Armeeangaben bei mehr als 1.200. Mindestens 3.000 weitere Menschen seien verletzt worden.