Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer ist "zutiefst erschüttert" über die jüngsten Krisenschauplätze im Erdbebengebiet Afghanistans sowie in Israel bzw. rund um den Gaza-Streifen. Die Lage für die Zivilbevölkerung sei da wie dort äußerst dramatisch, sagte er bei der Jahrespressekonferenz des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) am Dienstag in Wien. In einem Appell an die Konfliktparteien forderte er die Einhaltung des Humanitären Völkerrechts.
"Recht auf Leben in Sicherheit"
"Wir warnen die Konfliktparteien: Jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben in Sicherheit und Frieden. Es darf nicht sein, dass sie entführt, getötet oder als menschliche Schutzschilde missbraucht werden. Auf Menschen, die humanitäre Hilfe leisten, darf nicht geschossen werden. Leider verlor bereits ein Sanitäter im Einsatz sein Leben", so Schöpfer. "Nach dem Humanitären Völkerrecht ist es absolut verboten, Zivilisten in einen bewaffneten Konflikt hineinzuziehen." Bei Staaten könne man voraussetzen, dass sie die völkerrechtlichen Regeln kennen und beachten, bei lokalen Terrorgruppen nicht. Dies sei "nicht zu billigen, aber wir haben die Situation".
"Nothilfe muss weitergehen"
Das Rote Kreuz sei an beiden Krisenschauplätzen an Ort und Stelle: In Afghanistan seien Katastrophenhelfer im Einsatz sowie mobile Gesundheitsteams, die vom ÖRK aufgebaut wurden. In Israel unterstütze das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Hilfe-, Rettungs- und Blutspendewesen. Vom Palästinensischen Roten Halbmond und der israelischen Schwesterorganisation Magen David Adom (Roter Davidstern) werde gerade Überlebenshilfe geboten: "Hier wird Erste Hilfe geleistet, Menschen werden in Krankenhäuser gebracht, ungeachtet ihrer Ethnizität, ihres politischen Glaubens", betonte Martina Schloffer, Bereichsleiterin der Internationalen Zusammenarbeit beim ÖRK. "Die humanitäre Hilfe, die Nothilfe für Menschen, die nicht ausgesetzt wurde, die muss weitergehen", betonte sie. Wie man Entwicklungszusammenarbeitsprojekte aktuell umsetzen könne, sei die Frage, sagte Schloffer zum Umstand, dass Österreich EZA-Zahlungen an palästinensische Organisationen eingefroren hat.
"Debatte verfehlt Thema"
Während anderswo Menschen um ihr Leben kämpfen, "werden bei uns Diskussionen geführt, die eigentlich das Prädikat Thema verfehlt verdienen", kritisierte Schöpfer. "In der Armutsdebatte tauchen plötzlich Burger von McDonald's auf." Fakt sei: "Mehr als eine halbe Million Menschen können sich in Österreich nicht täglich ein Hauptgericht leisten. Der Anteil jener, die ihre Wohnung nicht angemessen warm halten können, ist im Vergleich zum Jahresende 2021 um 80 Prozent auf 710.000 Menschen gestiegen." "60.000 Menschen beziehen Lebensmittel bei den 122 Ausgabestellen der Team Österreich Tafeln, weil sie sich diese im Supermarkt nicht mehr leisten können", schilderte ÖRK-Generalsekretär Michael Opriesnig. Das ÖRK setzte dem entgegen: "Wir sind da", das Motto der aktuellen Kampagne.
Das belegt auch die Bilanz für das Jahr 2022, da wurden in Österreich 3,5 Millionen Rettungsfahrten durchgeführt, bei denen mehr als drei Millionen Patientinnen und Patienten betreut und rund 69 Millionen Kilometer zurückgelegt wurden. 102.125 Personen wurden durch die Gesundheits- und Sozialdienste unterstützt, fast 350.000 Vollblutspenden abgenommen und 3129 Familienzusammenführungen erreicht. Möglich machten das mehr als 75.000 Freiwillige, über 11.000 hauptberuflich Mitarbeitende, 4239 Zivildienstleistende und 1,136 Millionen Spenderinnen und Spender – plus elf Prozent in einem Jahr.