Nach der Parlamentswahl in Polen bleiben die Nationalkonservativen laut Prognosen stärkste politische Kraft – dennoch könnten drei proeuropäische Oppositionsparteien die neue Regierung bilden. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wurde mit 36,6 Prozent der Stimmen stärkste Kraft, wie am Montagmorgen veröffentlichte Ergebnisse von Nachwahlbefragungen des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zeigten.

Zweiter Platz für Liberalkonservative

Auf dem zweiten Platz mit 31 Prozent lag demnach die oppositionelle liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) des ehemaligen Ministerpräsidenten und früheren EU-Ratspräsidenten Donald Tusk. Rund 73 Prozent der Wahlberechtigten gingen an die Urnen und damit deutlich mehr als bei der ersten teilweise freien Wahl in Polen im Jahr 1989.

Möglicher Machtwechsel

Ein möglicher Machtwechsel in Warschau würde auch eine Wende in der polnischen Außenpolitik bringen. Die nationalkonservative PiS liegt wegen einer Justizreform im Dauerclinch mit Brüssel, das Verhältnis zu Berlin befindet sich wegen ihrer Forderungen nach Weltkriegsreparationen in Höhe von 1,3 Billionen Euro auf einem Tiefpunkt. Die drei Oppositionsparteien, die sich unter der Ägide von Tusk zusammentun könnten, stehen für einen proeuropäischen Kurs und eine versöhnlichere Politik gegenüber Deutschland.

Keine Mehrheit für PiS

In der neuen Prognose wurden der PiS 198 Sitze im neuen Parlament vorhergesagt. Die Mehrheit liegt bei 231 der 460 Mandate. Als Koalitionspartner kommt nur die ultrarechte Konfederacja infrage, mit deren 14 Mandaten es laut Prognosen aber ebenfalls nicht für eine Regierungsmehrheit reicht. Das endgültige Wahlergebnis steht wohl erst am Dienstag fest.

Fragile Oppositionskoalition

Die oppositionelle Bürgerkoalition (KO) käme laut Prognosen auf 161 Mandate. Sie könnte mit dem christlich-konservativen Dritten Weg (13,5 Prozent) und dem Linksbündnis Lewica (8,6 Prozent) eine Koalition bilden. Das Dreierbündnis könnte auf 248 Abgeordnete zählen und hätte eine Mehrheit im Parlament.

Oppositionsführer Donald Tusk sah sich am Wahlabend daher schon als Sieger: "Ich habe mich noch nie so sehr über den zweiten Platz gefreut. Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen, das ist das Ende der PiS-Regierung", sagte er am Wahlabend. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sagte, man warte auf den weiteren Verlauf der Ereignisse.

Das Kräfteverhältnis im Parlament kann sich noch durch Nuancen von wenigen Prozentpunkten für kleinere Parteien verschieben. Erwartet wird eine langwierige Regierungsbildung.

SPÖ: "Proeuropäisches Signal"

SPÖ-EU-Abgeordneter Andreas Schieder sieht ein "starkes proeuropäisches Signal gegen Demokratieabbau und autoritäre Tendenzen", heißt es in einer Aussendung. "Die neue Regierung hat einiges an Arbeit vor sich, die polnische Demokratie wieder vollständig instand zu setzen und vor zukünftigen Angriffen zu schützen."

Ernst-Dziedzic fordert von ÖVP Abgrenzung nach Rechtsaußen

Die Grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic appellierte unterdessen an die ÖVP, den siegreichen pro-europäischen Konservativen nachzueifern. "Polen hat das ganz klare Signal an die europäischen Konservativen einschließlich unseres Koalitionspartners geschickt, dass man Wahlen gewinnen kann mit einer klaren Abgrenzung an Rechtsaußen", sagte Ernst-Dziedzic am Montag der APA. Sie war als Wahlbeobachterin in Ostpolen im Einsatz.

NEOS sehen "klares Zeichen"

NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter sieht laut Aussendung in dem sich abzeichnenden Wahlerfolg der polnischen Bürgerkoalition ein "klares Zeichen für unsere gemeinsamen europäischen Werte". Auch sei es "ein wichtiges Signal an alle Kräfte, auch hier in Österreich, die das europäische Projekt von innen schwächen wollen und so den Feinden unserer liberalen Demokratie in die Hände spielen".