Auf der Ziel­ge­ra­den kurz vor den Par­la­ments­wah­len am Sonn­tag spielt Po­lens na­tio­nal-kon­ser­va­ti­ve Re­gie­rungs­par­tei noch ein­mal mit der Angst: „Wenn Tusk die Wah­len ge­winnt, holt er il­le­ga­le Mi­gran­ten nach Polen“, sagte Re­gie­rungs­chef Ma­teusz Mo­ra­wi­ecki am Mitt­woch beim Wahl­kampf­auf­tritt in der west­pol­ni­schen Stadt Ka­lisz. „Ihr wer­det Um­zü­ge von jun­gen, mus­li­mi­schen Män­nern sehen, die nichts von Frau­en­rech­ten hal­ten; zu uns kom­men is­la­mis­ti­sche Ter­ro­ris­ten, denn die EU will ihnen die Türen weit öff­nen“, droht der Pre­mier und spielt dabei auf den von War­schau und Bu­da­pest ge­ra­de ab­ge­lehn­ten EU-Mi­gra­ti­ons­pakt an. Tags dar­auf wird Mo­ra­wi­ecki vor der Pres­se noch kla­rer: „Ruft alle an, denn diese Nach­richt muss ge­streut wer­den: Die Bür­ger­platt­form be­deu­tet il­le­ga­le Mi­gra­ti­on; Do­nald Tusk ist ein ge­fähr­li­cher Mensch!“

Die "deutsche Karte"

Im Wahl­kampf pocht die von Ja­roslaw Kac­zyn­ski ge­führ­te Re­gie­rungs­par­tei „Recht und Ge­rech­tig­keit“ (PiS) immer wie­der auf die ge­wach­se­ne Be­deu­tung Po­lens als Na­to-Front­staat, be­dient aber vor allem die kriegs­be­ding­ten Ängs­te der Polen vor einer In­va­si­on, vor Frem­den und so­zia­len Nöten. Wie in jenem denk­wür­di­gen Wahl­kampf von 2015, der PiS nach acht lan­gen Jah­ren zu­rück an die 2007 vor­zei­tig ver­lo­re­ne Macht ge­bracht hatte, wird auch dies­mal Wahl­kampf auf dem Rü­cken von Flücht­lin­gen be­trie­ben. Da zei­gen PiS-Wahl­spots bren­nen­de Autos in den Pa­ri­ser Vor­städ­ten, Ko­lon­nen dun­kel­häu­ti­ger Män­ner und Stei­ne wer­fen­de Mi­gran­ten an der Gren­ze zu Belarus. Wer PiS seine Stim­me gäbe, be­kom­me statt­des­sen einen für­sor­gen­den Staat mit guten So­zi­al­leis­tun­gen und Wohn­bau­pro­gram­men, heißt es in den Spots.

Dazu spielt PiS er­neut die „deut­sche Karte“: Tusk sei ein Lakai Ber­lins, der in sei­ner Re­gie­rungs­zeit von 2007 bis 2014 die pro­rus­si­sche Po­li­tik An­ge­la Mer­kels in Polen ver­tre­ten habe und ab Herbst 2023 die deut­sche He­ge­mo­nie in der EU wie­der­her­stel­len und die Be­zah­lung von Re­pa­ra­tio­nen für den Zwei­ten Welt­krieg ver­hin­dern solle.

Diese Ver­schwö­rungs­theo­rie zieht vor allem bei äl­te­ren Bür­gern, denn sie greift ge­zielt auf Ver­satz­stü­cke der kom­mu­nis­ti­schen an­ti­west­li­chen Pro­pa­gan­da zu­rück. Um das Ge­fühl der äu­ße­ren Be­dro­hung zu ver­stär­ken, lässt die PiS-Re­gie­rung – dem Vor­bild Vik­tor Orbáns in Un­garn fol­gend – par­al­lel zur Par­la­ments­wahl auch noch ein Re­fe­ren­dum mit vier Fra­gen zur Mi­gra­ti­ons-, Si­cher­heits- und Pri­va­ti­sie­rungs­po­li­tik (Ver­kauf an nicht­pol­ni­sche In­ves­to­ren) ab­hal­ten.

Referendum als Zankapfel

Po­lens li­be­ra­le und linke Op­po­si­ti­on will die­ses Re­fe­ren­dum boy­kot­tie­ren. Im Wahl­kampf hat sie eine Lo­cke­rung des ri­gi­den Ab­trei­bungs­ge­set­zes, ein­ge­schrie­be­ne Le­bens­part­ner­schaf­ten jeg­li­chen Ge­schlechts, ein bes­se­res Ge­sund­heits­sys­tem und we­ni­ger Ein­fluss der ka­tho­li­schen Kir­che in Aus­sicht ge­stellt. Doch die Wahl­spots der li­be­ra­len Bür­ger­platt­form (PO), der Lin­ken und des zen­tra­lis­ti­schen Wahl­bünd­nis­ses „Drit­ter Weg“ wir­ken ver­gli­chen mit PiS oft zahm und farb­los.

Davon hebt sich ein­zig die rechts­ex­tre­me „Kon­fö­de­ra­ti­on“ ab, die fast nur on­line prä­sent ist und ge­zielt mit dem Wunsch nach Nied­rig­steu­ern und So­zi­al­neid ge­gen­über den rund eine Mil­li­on ukrai­ni­schen Flücht­lin­gen spielt.

Aus­ge­rech­net die „Kon­fö­de­ra­ti­on“ könn­te das Züng­lein an der Waage wer­den, wenn PiS – wie alle neue­ren Um­fra­gen an­deu­ten – zwar er­neut stärks­te Par­tei in Polen wird, aber keine ab­so­lu­te Mehr­heit mehr im Par­la­ment er­reicht. Ideo­lo­gisch sind die Rechts­ex­tre­men der PiS am nächs­ten.

Die Qual der Wahl

Um eine rechts­ex­trem po­pu­lis­ti­sche Ko­ali­ti­on zu ver­hin­dern, will die Op­po­si­ti­on eine mög­lichst hohe Wahl­be­tei­li­gung er­rei­chen. So gibt es spe­zi­el­le Kam­pa­gnen, die sich an Frau­en, Ju­gend­li­che und Nicht­wäh­ler rich­ten. In die­sen Krei­sen sieht sie noch Po­ten­zi­al. Rund 30 Pro­zent der Polen wol­len laut Um­fra­gen nicht an die Urnen gehen, etwa acht Pro­zent wis­sen noch nicht, wel­cher Par­tei sie ihre Stim­me geben wol­len.

„Zwar gibt es sie­ben Par­tei­en, doch bleibt uns nur die Wahl zwi­schen zwei Übeln“, klagt Agata Sta­chow­s­ka aus der Nähe von Ka­lisz. Die Mehr­heit der Polen sei des fast 20-jäh­ri­gen Zwei­kampfs zwi­schen den Alt­po­li­ti­kern Kac­zyn­ski (74) und Tusk (66) über­drüs­sig. Doch an den Par­tei­en der bei­den führe kein Weg vor­bei, zumal sie rund 70 Pro­zent der Stim­men bin­den wür­den. Lan­des­weit hoch­ge­rech­net deu­ten die Um­fra­gen der letz­ten zehn Tage auf ein knap­pes Ren­nen hin, bei dem PiS und „Kon­fö­de­ra­ti­on“ vier Par­la­ments­sit­ze Vor­sprung auf die drei op­po­si­tio­nel­len Par­tei­en PO, Linke und „Drit­ter Weg“ (mit 228 von 460 Sit­zen) haben. In Pro­zent­wer­ten schnei­det PiS re­gel­mä­ßig rund fünf Pro­zent bes­ser ab als die PO.