Rund 300.000 Reservisten wurden bereits mobilisiert. Viele stehen nun an der Grenze zum Gazastreifen zwischen Panzern und Artilleriegeschützen bereit, warten auf den Marschbefehl. Einige begleitet wohl der Gedanke, es nicht lebend aus den bevorstehenden Gefechten zu schaffen, manche beten.
"Wir bereiten uns auf ein Bodenmanöver vor, falls dieses von der politischen Führung entschieden wird", sagte Militärsprecher Richard Hecht gestern. Am Abend war diese Entscheidung noch nicht getroffen worden, ein Einmarsch in den Gazastreifen dürfte aber unmittelbar bevorstehen und sei sogar "unvermeidlich", wie es aus Sicherheitskreisen heißt. Eine Bodenoffensive birgt für Israel aber Risiken, die größer sein könnten als bei ähnlichen Einsätzen 2008 und 2014.
Beginn am Wochenende?
Oberstleutnant Klaus Kuss vom österreichischen Bundesheer rechnet mit dem Beginn am Wochenende. "Zuerst werden wohl mit Steilfeuer und weiteren Luftschlägen bekannte Ziele ausgeschaltet werden", sagt Kuss zur Kleinen Zeitung. Nach den erfolgten Luftschlägen dürften die Bodentruppen dann mit Artillerieunterstützung einmarschieren. Die Eintrittspunkte seien definiert, damit sich die Zivilbevölkerung von dort wegbewegen könne. Die besondere Herausforderung ist laut Kuss, dass ein schnelles Vorstoßen hier nicht möglich ist. Ein Häuserkampf wird unvermeidlich sein, zum Nachteil der israelischen Streitkräfte. "Wenn konventionelle Kräfte im urbanen Umfeld angreifen, bringt das verschiedenste Probleme mit sich", sagt Kuss. Dazu kommt, dass bereits über 200 Luftschläge erfolgt sind, die Zerstörung ist entsprechend groß, auch bei der Infrastruktur, etwa bei Straßen.
Zugleich ist es ein Kampf mit ungleichen Mitteln: Die Hamas ist kein konventioneller Gegner, den man mit gewöhnlichen Mitteln bekämpfen kann, sondern eine Terrororganisation. Wegen ihrer zergliederten und dezentralen Struktur ist es schwierig, die Führung auszuschalten beziehungsweise die verschiedenen Ebenen überhaupt zu erkennen. Hier brauche es sehr viel Aufklärungsarbeit.
Zur Gefechtstechnik der Hamas gehöre es, sich unter die Zivilbevölkerung zu mischen, um es der israelischen Armee zu erschweren, sie zu bekämpfen, so Kuss. "Sie haben keine Uniformen, keine Abzeichen, keine Dienstgrade. Wenn sie ihr Sturmgewehr zur Seite legen, kann man sie nicht mehr von Zivilisten unterscheiden. Das ist das Grundproblem der Israelis." Kuss kennt die israelische Armee, er war unlängst selbst bei einem Ausbildungsseminar in Israel und ist vom hohen Niveau der Streitkräfte überzeugt, trotzdem hätten solche "hochgerüsteten, hochtechnologischen Armeen ihre Probleme, wenn es ins urbane Umfeld geht". All die vermeintlichen Vorteile reduzieren sich im Häuserkampf, die Hamas-Kämpfer haben den Vorteil der Ortskenntnis in den verschachtelten Gebäudekomplexen und Straßenzügen, nutzen geheime Tunnel und Kellergänge.
"Ding der Unmöglichkeit", Zivilbevölkerung unter Druck
Die komplette Inbesitznahme des Gazastreifens mit seinen zwei Millionen Bewohnern hält Kuss für "ein Ding der Unmöglichkeit", auch, weil die Hamas subversive Techniken anwendet, wie etwa Sprengfallen, Hinterhalte und andere unlautere Mittel, während die israelischen Streitkräfte als klassische Armee gemäß der Genfer Konvention kämpfen "oder es zumindest sollte". Hier ergebe sich ein enormer Vorteil für die Hamas.
Die Ausschaltung der Hamas sei eine "Mammutaufgabe". Es gehe nicht nur darum, Tausend Kämpfer zu neutralisieren, sondern ein ganzes Netzwerk, das dahinter steht. Dazu spielt der Konflikt in eine größere geopolitische Situation hinein und weitere Player eine Rolle, Stichwort Hisbollah und Iran.
Inmitten dieser Spirale der Gewalt die Zivilbevölkerung, die sich wegen der Abriegelung des Gazastreifens und der Luftangriffe ohnehin schon in einer Ausnahmesituation befindet. 340.000 Menschen sind aus ihren Wohnungen geflüchtet, sichere Zufluchtsorte gibt es aber kaum.