Die 338 Mitglieder des kanadischen Parlaments in Ottawa hält nichts mehr auf ihren Sitzen, als Greg Fergus als neuer Sprecher verkündet wird. Der Abgeordnete der Premierminister-Partei "Liberale Partei Kanada", der als erster schwarzer Politiker den hohen Posten übernimmt, wird von Glückwünschen, Handschlägen und Umarmungen empfangen, sein Sohn, der auf der Besuchertribüne sitzt, applaudiert begeisterter. Österreichs Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP), die für einen Termin mit ihrem Amtskollege Marc Miller im Parlament anwesend war, musste aufgrund der Verkündung auf ihren Gesprächspartner warten.
Dass das kanadische Parlament damit überhaupt einen neuen Sprecher bzw. Vorsitzenden abseits regulärer Wahlen bestimmt hat, ist einem veritablen Skandal zu verdanken. Parlamentspräsident Anthony Rota hatte beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Unterhaus Ende vorletzter Woche Jaroslaw Hunka geehrt. Dieser habe für die Unabhängigkeit der Ukraine gegen Russland gekämpft, hieß es, die Kammer reagierte mit tosendem Applaus. Wenig später stellte sich heraus, dass es sich bei Hunka um einen SS-Veteranen gehandelt hatte. Rota trat zurück, die Wahl eines neuen Präsidenten war die Folge.
Gezerre zum Vorsitz
Als diese nach stundenlangem Prozedere Dienstagmittag (Ortszeit) auf Fergus fällt, stellen sich Premierminister Justin Trudeau und Konservativen-Chef Pierre Poilievre am anderen Ende der Kammer auf, packen Fergus links und rechts bei den Armen und zerren ihn Richtung Vorsitz. Er wehrt sich, versucht, sich loszureißen, sie zerren ihn weiter. Was seltsam anmutet, ist eine alte Tradition im kanadischen Parlament. Der Job des "Speakers" war es einst, dem König die Entscheidungen des Hohen Hauses mitzuteilen. War dieser damit nicht einverstanden, konnte das dem Sprecher den Kopf kosten. Der Posten war damals also alles andere als begehrt. Dieser Widerwillen wird bis heute gern gespielt von jenen, die den inzwischen prestigeträchtigen Job bekommen.
Fergus gelobte in seiner ersten Ansprache, für Respekt und Anstand im Hohen Haus einzutreten. Ihn verbindet ein enges Verhältnis mit Premier Trudeau, dessen parlamentarischer Sekretär Fergus einst war. Fergus' erste Aufgabe wird es nun sein, den Skandal um den geehrten vermeintlichen Kriegshelden vergessen zu machen.
Christina Traar aus Ottawa