Sie haben in Ihrer Rede vor der UNO-Generalversammlung einen ebenso proaktiven wie pragmatischen Zugang zum Multilateralismus gefordert. Es solle mehr miteinander geredet und vor allem zugehört werden. Und zwar nicht nur in "Echokammern", wo ohnehin alle eine einheitliche Position haben. Wie sieht es diesbezüglich angesichts des Angriffskriegs auf die Ukraine etwa mit Russland aus? Soll mit Moskau auch mehr geredet werden?
Schallenberg: Natürlich muss man das. Wir haben auch entsprechende Plattformen, sei es in der UNO oder zum Beispiel der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Solche Organisationen waren noch nie Clubs von Gleichgesinnten. Dieser Dialog war ja auch in Zeiten des Kalten Krieges immer sehr schwierig. Das dürfen wir nicht verlernen.
Wir teilen uns diesen Planeten. Wir haben viele Fragen. Denken wir an das Klimathema, denken wir an Abrüstung, wo wir nur vorankommen werden, wenn wir auch mit Moskau reden. Aus unserer westlichen Warte gesehen ist es natürlich schwierig. Russland versucht in einer neoimperialistischen Art und Weise, einfach einen anderen Staat einzunehmen. Das ist nicht etwas, wo wir die Hände in den Schoß legen können, weil es geht um unsere eigene Sicherheit. Wir leben davon, dass sich alle, egal ob sie Nuklearwaffen besitzen oder nicht, an das Völkerrecht halten.
Zur Zukunft des Multilateralismus: Besteht nicht die Gefahr, dass die UNO als Weltgremium fragmentiert wird? Wenn man sich anschaut, dass sich Bündnisse wie die BRICS-Staaten bilden. Dass die Reform des Sicherheitsrats zwar von vielen Seiten gefordert wird, manche Player aber wohl nicht ihre Macht aus der Hand geben wollen?
Schallenberg: Die UNO kann immer nur das Spiegelbild der Realität sein. Und wir haben eine multipolare Welt, verschiedene Machtzentren. Die Vereinigten Staaten, Europa, China, Russland. Natürlich gibt es auch andere Organisationsformen oder Plattformen wie die BRICS zum Beispiel. Das hat es in der Vergangenheit aber auch gegeben. Ich glaube, das Wichtigste aus unserer Warte ist, dass man die Dialogkanäle offen hält, dass man auf Augenhöhe spricht, von Respekt getragen, und nicht belehrend mit erhobenem Zeigefinger.
Wie stehen die Chancen auf eine Reform des Sicherheitsrats?
Schallenberg: Der Sicherheitsrat muss reformiert werden. Er ist eigentlich das Spiegelbild der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg. Ganze Kontinente, denken wir an Afrika, denken wir an Lateinamerika, sind überhaupt nicht repräsentiert in diesem Gremium, das aber gleichzeitig - wenn man so will - der Weltpolizist ist. Ich glaube, Inklusivität ist ein wesentliches Zeichen, wenn der Sicherheitsrat in Zukunft nicht nur handlungsfähig sein soll, sondern auch glaubwürdig bleiben will. Aber ich habe hier stärker als in der Vergangenheit eine Bereitschaft gespürt, dieses Thema anzugehen, auch von größeren Staaten. Der amerikanische Präsident hat immerhin in seiner Rede selber gesagt, dass der Sicherheitsrat reformiert werden muss.
Österreich will ja 2026 um einen Platz als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrats kandidieren. Wie stehen da die Chancen?
Schallenberg: Momentan bewerben sich drei Staaten: Portugal, Deutschland, Österreich. Wir sind sehr gut im Rennen, aber noch ist es ein ganzes Stück Zeit bis dorthin.
Ist es nicht so wie im Fußball, dass das kleine Österreich gegen das große Deutschland in der Regel doch eher verliert?
Schallenberg: In der Außenpolitik ist Größe manchmal sogar ein Nachteil.
Es ist ja auch so, dass die UNO-Friedenseinsätze zurückgehen. So wird etwa die Mali-Mission MINUSMA per Jahresende eingestellt. Stattdessen dürften sich dort die russischen Wagner-Söldner breit machen. Gibt das Anlass zur Sorge? Die UNO-Friedensmissionen waren doch jahrzehntelang ein Aushängeschild der Vereinten Nationen?
Schallenberg: Ich sehe das genauso, die Blauhelm-Missionen waren immer ein Aushängeschild. Österreich ist ja auch stolz, seit 1960 daran teilzunehmen, vom Kongo beginnend über Zypern. Und jetzt sind wir immer noch im Libanon präsent und am Balkan. Auch in Mali. Das darf nicht enden. Ich glaube aber, dass es in Wirklichkeit in Zukunft mehr UNO-Missionen geben wird als weniger. Wenn ich mir den Planeten anschaue, gibt es leider Gottes eine ganze Reihe von Brandherden und Krisensituationen, wo es eine Präsenz international der Blauhelme braucht.
Sie haben bei Ihren Gesprächen eine Art "Globaler-Süden-Schwerpunkt" gehabt. Sie haben zum Beispiel mit mehreren Vertretern von Schwellen- oder Entwicklungsländern aus Afrika gesprochen. Was haben diese Treffen gebracht?
Schallenberg: Also man kann nicht alle Länder Afrikas über den Kamm scheren. Das ist ein Fehler, den wir Europäer nicht machen sollten. Das sind viele unterschiedliche Staaten mit unterschiedlichen Situationen, auch unterschiedlicher Geschichte. Wichtig ist, dass man das Gespräch sucht. Sie sind nicht in allen Punkten einer Meinung mit uns, sie verstehen uns auch teilweise nicht. Aber gleichzeitig gibt es auch eine große Neugier und Interesse. Denken wir auch an den wirtschaftlichen Bereich. Viele meiner Partner haben großes Interesse an Investitionen von österreichischen Unternehmen. Sie wollen Entwicklung.
Da ist vielleicht gerade auch ein Staat wie Österreich, wo es keine koloniale Vergangenheit gibt, ein glaubwürdiger Gesprächspartner. Weil bekannt ist, dass wir eigentlich nicht mit Investitionen österreichischer Unternehmen eine geheime politische Agenda verfolgen. Da sind wir dann oft gefragt, und das müssen wir auch nutzen.
Es ist immer wieder davon die Rede, dass die Länder des Globalen Südens mit den Industrieländern des Westens unzufrieden sind. Ist die Spaltung vorhanden?
Schallenberg: Ja, sie ist bei vielen Themen da. Es ist so, dass es oft das Gefühl gibt, hier entscheiden die Industriestaaten, und die anderen müssen quasi mitziehen, ob sie wollen oder nicht. Wir hören ja auch bei der Klimadebatte, dass einige Schwellenländer oder Entwicklungsländer sagen, wir haben das ja nicht verursacht. Ihr habt das CO2 in die Luft geblasen, und jetzt sollen wir dafür mit die Zeche zahlen. Das sind Diskussionen, die notwendig sind.
Wie sieht es mit dem Thema Kampf gegen den Klimawandel aus? Haben Sie das Gefühl, dass da etwas weitergeht? Oder gab es da vor allem Lippenbekenntnisse?
Schallenberg: Die Bereitschaft ist zunehmend da. Es kann ja keiner mehr leugnen, dass es den Klimawandel gibt. Das kann ja jeder im eigenen Haus verspüren. Die wesentliche Frage wird sein, dass man es so macht, dass es erträglich ist, dass keine Arbeitsplätze vernichtet werden, dass nicht die industrielle Basis gefährdet wird. Das ist in Wirklichkeit die Crux.
Gibt es aus Ihrer Sicht nach dieser intensiven Woche ein besonderes Fazit? Eine neue Erkenntnis, die Sie aus New York nach Hause mitnehmen?
Schallenberg: Es war eine UNO-Generalversammlung, die nicht ausschließlich vom Thema Ukraine und Russland dominiert war. Wir haben sehr viel über den Mittleren Osten gesprochen, über die Situation zwischen Israel und Saudi-Arabien, sehr viel natürlich auch über die Sahelzone oder Westafrika.
Wir dürfen nicht nur eine eurozentrische Nabelschau durchführen und nur an uns denken. Wir haben Krisenherde von Afghanistan über Äthiopien bis zu Burkina Faso, Mali und Niger, Myanmar in Asien. Da müssen wir auch engagiert sein, da müssen wir am Ball bleiben und auch als Europa zeigen, dass wir hier nicht mit zweierlei Maß messen und uns die Ukraine wichtig ist, aber andere Situationen nicht.
Edgar Schütz/APA