Polens nationalkonservative Regierungspartei PiS wirbt im Wahlkampf mit ihrer harten Haltung gegen Migranten. Wenn es darum geht, den Wählern Angst vor den Fremden zu machen, ist der PiS kein Klischee zu flach, kein Zerrbild zu finster.
Spiel mit der Angst
So behauptete Regierungschef Mateusz Morawiecki kürzlich in Katowice bei einem Wahlkampfauftritt, in Frankreich, Deutschland oder Schweden könne man vielerorts im Dunkeln nicht auf die Straße gehen. Denn dort "grassieren Banden junger muslimischer Migranten", die "den Frauen die Hölle bereiten".
Visa gegen Schmiergeld
Ausgerechnet eine Affäre um mutmaßliche Korruption bei der Visavergabe bringt nun knapp einen Monat vor der Parlamentswahl am 15. Oktober die PiS in Bedrängnis. Dabei geht es um die Frage, ob massenweise Arbeitsvisa für Bürger afrikanischer und asiatischer Länder ausgestellt wurden – und ob dies schneller ging, wenn die Antragsteller über Vermittler saftige Schmiergelder zahlten.
Vergangene Woche gab die polnische Generalstaatsanwaltschaft bekannt, dass sie gegen sieben Personen wegen des Verdachts ermittelt, sie hätten gegen Bezahlung die Vergabe von Arbeitsvisa beschleunigt. Drei Personen wurden festgenommen. Die Staatsanwaltschaft sprach von Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe "mehrerer Hundert Arbeitsvisa" in arabischen Ländern sowie in Indien, den Philippinen, Singapur, Hongkong und Taiwan. Außenminister Zbigniew Rau sagte, es gehe bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft um 200 Visa.
Hunderttausende Visa im Verdacht
Glaubt man polnischen Medien und der Opposition, dann ist das Ausmaß deutlich größer. Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) nannte die Zahl von 250.000 Arbeitsvisa, die innerhalb von 30 Monaten in Afrika und Asien ausgestellt worden seien. Zwei Parlamentarier seiner Partei, die im Rahmen einer in Polen möglichen Abgeordnetenkontrolle Einblicke in Unterlagen des Außenministeriums nahmen, sprechen von 350.000 Visa.
Nur ein "Affärchen"
Die PiS versucht, die Sache herunterzuspielen. "Das ist keine
Affäre, nicht mal ein Affärchen", spottete Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Doch am Freitag wurde der kürzlich entlassene Vizeaußenminister Piotr Wawrzyk mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Nach Regierungsangaben soll er versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Polnische Medien hatten Wawrzyk bezichtigt, Drahtzieher hinter dem System der korrupten Visavergabe gewesen zu sein. Er war für konsularische Angelegenheiten zuständig. Ende August wurde Wawrzyk plötzlich gefeuert, die gefürchtete Antikorruptionsbehörde CBA durchsuchte seine Abteilung.
So debattiert Polen derzeit über das Thema Migration – aber unter anderen Vorzeichen, als es sich die seit 2015 regierende PiS vorgestellt hat. Die Nationalkonservativen brüsten sich damit, dass sie ihr Land, das eine knappe Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat, vor der Zuwanderung von Menschen nicht christlichen Glaubens etwa aus dem Nahen Osten oder aus Asien bewahrt haben.
Martialische Bewachung der Grenze
An der EU-Außengrenze zum Nachbarland Belarus hat Polen einen 5,5 Meter hohen Metallzaun mit Bewegungsmeldern und Nachtsichtkameras errichtet. Polen und die EU-Kommission beschuldigen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, systematisch Migranten aus Krisenregionen an die Grenze zu bringen. Die Grenzregion wird martialisch bewacht: Zusätzlich zu den 5000 Grenzschützern und 500 Polizisten sind 4000 Soldaten im Einsatz, weitere 6000 in Reserve. Menschenrechtsorganisationen beklagen regelmäßig sogenannte Pushbacks – also Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Außengrenzen, die nach internationalem Recht illegal sind.
In einem Referendum parallel zur Parlamentswahl will die PiS über vier Fragen abstimmen lassen. Gleich zwei davon betreffen das Thema Migration. "Unterstützen Sie die Beseitigung der Barriere an der Grenze zwischen Polen und Belarus?" lautet die eine – auch wenn derzeit kein namhafter Vertreter der Opposition das fordert.
Möglicher Bumerangeffekt
Die andere Frage befasst sich mit dem EU-Asylkompromiss, der eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen vorsieht. Die PiS-Regierung lehnt das ab. Entsprechend suggestiv ist die Frage im Referendum formuliert. "Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegalen Einwanderern aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme?" Das Kalkül der PiS war, mit diesen Fragen ihre Wähler zu mobilisieren. Doch das könnte nun nach hinten losgehen.