Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un ist zu Gesprächen mit Präsident Wladimir Putin nach Russland gereist. Bei dem Treffen dürfte es unter anderem um Waffenlieferungen gehen. Dafür spricht die aus Nordkorea mitgereiste Delegation, darunter hochrangige Vertreter des Militärs und der Rüstungsindustrie. Nordkorea könnte Russland für seinen Krieg in der Ukraine Artilleriemunition und Panzerabwehrraketen liefern - den Krieg entscheiden dürfte das allerdings nicht.
Etwa zehn bis elf Millionen Schuss hat Russland westlichen Schätzungen zufolge im vergangenen Jahr in der Ukraine abgefeuert. Lieferungen aus Nordkorea könnten Russland helfen, seine schwindenden Munitionsbestände wieder aufzufüllen. "Der Zugang zu diesen Vorräten dürfte den Konflikt verlängern, am Ausgang wird sich aber wahrscheinlich nichts ändern", sagt Joseph Dempsey, Forscher für Verteidigung am International Institute for Strategic Studies.
Sowohl die Ukraine als auch Russland sind für Nachschub auf Partner angewiesen. Zu der Munition, die die USA der Ukraine zur Verfügung gestellt haben, gehören höher entwickelte Geschosse wie beispielsweise die Excalibur. Diese sind mit GPS-Lenkung und Lenkflossen ausgestattet und können bereits kleinere Ziele von drei Metern aus einer Entfernung von bis zu 40 Kilometer treffen. Nordkoreanische Munition ist wahrscheinlich weniger Hightech. "Fast keine der Munition ist in irgendeiner Weise 'fortschrittlich'", sagt Analyst Siemon Wezeman vom Stockholm International Peace Research Institute. Die traditionelle russische Artillerie würde mit Sperrfeuer versorgt, Russland aber keine Präzisionsmunition bekommen.
Qualität der Geschosse entscheidend
Im Krieg gegen die Ukraine, den Russland als militärische Spezialoperation bezeichnet, spielt massiver Artilleriebeschuss eine wichtige Rolle. Analysten sprechen auch vom "König der Schlacht". "Richtig eingesetzt, kann die Artillerie den Willen und den Zusammenhalt des Gegners brechen und bietet eine große Chance, die Initiative zu ergreifen und Boden gutzumachen", schreibt Patrick Hinton, Stipendiat der britischen Armee am Royal United Services Institute, in einer kürzlich erschienenen Studie. Es sei jedoch komplizierter, als einfach nur Granaten auf den Feind abzuschießen. Die russischen Artilleriegeschütze hätten es wiederholt nicht geschafft, verschanzte Ukrainer zu vertreiben, schreibt er.
Die Qualität der nordkoreanischen Artilleriegeschosse sei entscheidend, so Hinton gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die Mängel sollten die akzeptierten Toleranzen nicht überschreiten. "Schlecht hergestellte Munition hat eine uneinheitliche Leistung - das Verhalten im Flug kann beeinträchtigt werden, was die Genauigkeit verringert", sagt er. Minderwertige Zünder könnten frühzeitig auslösen und die Haltbarkeit könnte sich verringern, sollte der Inhalt schlecht sein. Bei all diesen Faktoren müsse hohe Qualität gewährleistet werden. "Sonst landen die Geschosse möglicherweise nicht dort, wo sie landen sollen, was katastrophale Folgen haben kann."
Mangel an Präzision
Dass es der nordkoreanischen Artillerie an Präzision mangelt, wird seit 2010 vermutet. Damals feuerte Nordkorea etwa 170 Granaten auf die südkoreanische Insel Yeonpyeong ab. Dabei kamen vier Menschen ums Leben. Der auf Nordkorea spezialisierten Abteilung 38 North der Denkfabrik Stimson Center zufolge fielen mehr als die Hälfte der Geschosse in die Gewässer rund um die Insel. 20 Prozent der Geschosse, die auf die Insel niedergingen, explodierten nicht. Diese hohe Fehlerquote deutet laut dem Bericht darauf hin, dass entweder die Qualitätskontrolle während der Herstellung in Nordkorea mangelhaft ist oder die Lagerungsbedingungen beziehungsweise -standards schlecht seien.
Bei einer sehr großen Menge an Munition hätten die mangelnde Präzision und die gelegentlichen Blindgänger für Russland kaum Bedeutung, so Analyst Wezeman. Sollte die nordkoreanische Munition jedoch von so schlechter Qualität sein, dass sie nicht zu gebrauchen wäre, wäre das etwas anderes. "Es gibt Hinweise darauf, dass solche Qualitätsprobleme bei koreanischer Munition auftreten."
Josh Smith/Reuters