2022 wurden weltweit so viele russische Diplomaten ausgewiesen, wie in den letzten 20 Jahren nicht, berichtet die britische Zeitung "The Telegraph" Anfang der Woche. Die Anzahl beläuft sich dabei auf insgesamt 705 Personen, ein Großteil davon war in Europa im Dienst. Das 6,8 Millionen Einwohner zählende Bulgarien verwies seit dem russischen Überfall auf die Ukraine 83 Diplomaten des Landes, das kleine Moldawien allein im Juli 45.
Die Aktivitäten laufen jedoch selten über tote Briefkästen und konspirative Treffen, sondern meist unspektakulär im Schichtbetrieb. In der Wiener Donaustadt betreibt Russland großangelegte Satellitenspionage.
An der Ecke zwischen der Erzherzog-Karl-Straße und der Zschokkegasse im 22. Gemeindebezirk versperren ein zwei Meter hoher Zaun und einige Nadelbäume den Blick auf das dahinterliegende Gebäude, auf dem große Satellitenschüsseln thronen. Betrachtet man den gewaltigen ringförmigen Betonklotz über Luftbilder, wird klar, dass hier nicht nur russisches Fernsehen geschaut wird.
"Wachstumsschub" russischer Spionage
Wie der Journalist Erich Möchel in einem Artikel für "FM4" voriges Jahr darlegte, sind auf dem Dach der "Ständigen Vertretung der Russischen Föderation bei den Vereinten Nationen in Wien", wie es sperrig heißt, über die Jahre mehrere große Sattellitenschüsseln hinzugekommen. Von einem "regelrechten Wachstumsschub" ab 2018 ist die Rede. Mittlerweile stehen bis zu 13 Schüsseln unterschiedlicher Größe auf dem Gebäude.
Abgesehen hat man es dabei auf das Anzapfen militärischer Kommunikation, die durch Satelliten übermittelt wird. Dies ist im Ukraine-Krieg von Bedeutung. Zudem lassen sich in Afrika und Nahost Informationen abgreifen, da der Internet- und Datenverkehr dieser Regionen ebenfalls in großen Teilen via Satellitenkommunikation und nicht über Kabel abgewickelt wird.
Der Historiker und Politikwissenschaftler Thomas Riegler vom "Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies" (ACIPSS) erklärt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung, dass Russland auf diese Weise in einer Vielzahl europäischer Städte aktiv ist. "Die vermehrte Ausweisung mit Diplomatenpässen ausgestatteter Techniker seit Kriegsbeginn hat dieses Netzwerk von Überwachungsstationen laut Medienberichten aber lahmgelegt", so Riegler. Geschätzt ein Drittel des russischen Diplomatenkorps geht in Wirklichkeit einer besonderen Form der 'Diplomatie' nach. In Wien könnten dies bis zu 60 Personen sein. Die Gesamtzahl russischer Spione dürfe noch viel höher sein, wenn man jene hinzurechnet, die ohne diplomatische Tarnung im Land sind.
Zaghafte Umbrüche in Österreichs Diplomatie
Auch wenn Alexander Schallenberg bereits vor Kriegsbeginn als erster österreichischer Außenminister nach 1945 einen russischen Staatsbürger zur unerwünschten Person erklärte, traf es, verglichen mit anderen Ländern, nur sehr wenige Diplomaten. Zuletzt wurden im Februar vier Personen aufgefordert, das Land zu verlassen. Neos-Generalsekretär und Verteidigungssprecher Douglas Hoyos möchte "die Zahl der russischen Diplomaten auf das Allergeringste beschränken". Auch wenn im Gegenzug österreichische Botschaftsangehörige ausgewiesen würden, gäbe es "mitten im Krieg keinen Grund, so viele Diplomaten zu akkreditieren".
Indes scheint die Sorge vor russischer Revanche und den Folgen für die heimische Wirtschaft groß zu sein. Von der SPÖ heißt es auf Anfrage, der Umgang mit Spionagetätigkeiten sei "aus parteipolitischer Sicht nicht zu beurteilen". Die Verantwortung habe die Bundesregierung zu tragen, die bei "entsprechender Evidenz umgehend konkrete und wirksame Schritte" umzusetzen habe.
Im Außenministerium behält man sich bei einem nachweisbaren Verstoß gegen die Wiener Diplomatenrechtskonvention solche Schritte auch "explizit" vor. Allerdings ist davon auszugehen, dass Russland als Vergeltung ebenfalls Diplomaten ausweist. Bei konsequenter Anwendung der Doktrin müssten dann möglicherweise so viele Österreicher Moskau verlassen, dass die Botschaft leer bliebe.
Douglas Hoyos sieht hierin kein Problem. Um "Gesprächskanäle offenzuhalten", reiche "eine Minimalbesetzung in Wien und Moskau". Derart "apodiktische rote Linien sind hier wahrscheinlich nicht zielführend", kontert der Parlamentsklub der FPÖ. Sicher sei eine "missbräuchliche Verwendung des Diplomatenstatus im Interesse der nationalen Sicherheit zu unterbinden", doch müssen auch in Kriegszeiten Möglichkeiten zum Dialog gewahrt bleiben.
Unzureichende gesetzliche Handhabe
Wie es um aktuelle Kenntnisstände und Präventivmaßnahmen gegen Spionageaktivitäten steht, ist dem Verteidigungsministerium nicht zu entlocken. Dennoch ist davon auszugehen, dass sowohl hier als auch bei der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) größeres Augenmerk auf die Spionageabwehr gelegt wird. Im diesjährigen Verfassungsbericht ist konkret von einem verhafteten Russen die Rede. Dieser steht im Verdacht, "Informationen an den russischen militärischen Geheimdienst (GRU) weitergegeben zu haben".
In diesem Fall reichte die Beweislast für eine Anklage aus, doch sieht Experte Riegler in der Gesetzgebung eines der Hauptprobleme. Diese sei zu unpräzise, sodass es "kaum Handhabe" gebe. In diese Kerbe schlägt auch Neos-Verteidigungssprecher Hoyos. Er fordert eine Änderung des Paragrafen 256 im Strafgesetzbuch. Bisher steht Spionage nur dann unter Strafe, wenn diese zum Nachteil Österreichs verläuft. Das Gesetz solle ebenfalls auf den Nachteil anderer Staaten und internationaler Organisationen ausgeweitet werden.
Allerdings würde dies an den Grundfesten der österreichischen Diplomatie rütteln. Finge man bei der Russischen Föderation an, könnten alsbald auch andere Geheimdienste verfolgt werden. Diese Büchse der Pandora zu öffnen, dürfte weitreichende Folgen für Österreichs Auslandsvertretungen nach sich ziehen. Bisher zeichnet sich nicht ab, dass man bereit ist, diesen Weg zu gehen.