Nach Polen und Litauen verstärkt nun auch Lettland den Schutz seiner Grenze zu Belarus. Der scheidende lettische Regierungschef Krišjānis Kariņš bezeichnete den Schritt als "proaktive Maßnahme". Der lettische Grenzschutz hatte am Dienstag zusätzlich Einsatzkräfte mobilisiert, um der "rapide zunehmenden hybriden Bedrohung" an der Grenze Rechnung zu tragen.
Das EU- und Nato-Mitgliedsland Lettland ist nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nämlich massiv unter den Druck des Kremls geraten. Riga hatte sich bedingungslos auf die Seite Kiews gestellt. Das baltische Land sandte humanitäre Hilfe, aber auch bald Waffen in die Ukraine. Im April wurde von der Regierung Kariņš der obligatorische Wehrdienst wieder eingeführt. Denn das kleine Land grenzt auch an Russland und Belarus. Von beiden Seiten haben die Drohungen seit der russischen Invasion in der Ukraine zugenommen.
Dazu kommt eine zahlenmäßig große russische Minderheit, deren Loyalität nicht immer klar ist. 27 Prozent der nur 1,9 Mio. Einwohner in Lettland bezeichnen sich als Russen, 3,3 Prozent als Belarussen.
Die größte sichtbare Bedrohung stellen vom belarussischen Autokraten Alexander Lukaschenko unterstützte Flüchtlinge dar, die regelmäßig den Grenzzaun forcieren. Erst am Sonntag erwischte der lettische Grenzschutz seine belarussischen Kollegen dabei, wie sie ein Loch in den Zaun schnitten und vier Flüchtlinge auf die andere Seite, in die EU, bugsierten. Lettland schickt diese Personen für gewöhnlich zurück, doch die Belarussen verweigerten diesmal ihre Wiedereinreise.
Bereits 2021 Migranten an die Grenze schicken
Die Lage an der gemeinsamen Staatsgrenze ist angespannt, denn Putinfreund Lukaschenko setzt Flüchtlinge ein, um die lettischen Dienste abzulenken. Auch will er Unruhe und Verwirrung stiften. Bereits 2021 instrumentalisierte er Migranten an der Grenze zu Polen, um Sanktionen der EU loszuwerden. Inzwischen wurde in Lettland ein Grenzzaun gebaut und die Videoüberwachung der 172 Kilometer langen Grenze intensiviert. Laut dem lettischen Grenzschutz wurden dieses Jahr bereits knapp 5300 Personen daran gehindert, illegal nach Lettland einzureisen. Experten rechnen damit, dass der künstlich und aus politischen Gründen von Moskau und Minsk geschaffene Migrationsdruck zunimmt, sobald die ukrainische Gegenoffensive für den Kreml wirklich gefährlich wird.
Paul Flückiger (Warschau)