In Israel gehen die Wogen hoch. Gegner der Justizreform werfen Premierminister Benjamin Netanjahu vor, eine Säule der Gewaltenteilung schrittweise zu entmachten. Die rechtskonservative Regierung von Netanjahu hatte indes der Justiz zuletzt vorgeworfen, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen. Konkret plant die Regierung daher, dem Obersten Gerichtshof die Kompetenz zu entziehen, nachdem dieser eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" bewerten kann.

Israel hat keine geschriebene Verfassung

Wer hat nun recht – die Kritiker Netanjahus oder jener der Justiz? Ein Blick auf das politische System Israels zeigt: So einfach ist die Antwort auf diese Frage auf den ersten Blick nicht. Israel hat keine geschriebene Verfassung. Der Oberste Gerichtshof hat die Kompetenz, die Konformität der beschlossenen Gesetze zu bewerten und auch zu lenken. Eine geschriebene Richtlinie gibt es nicht.

Christoph Bezemek analysiert die Eckpunkte der Pläne Netanjahus
Christoph Bezemek analysiert die Eckpunkte der Pläne Netanjahus © Uni Graz

Anders als in Österreich, wo der Verfassungsgerichtshof Gesetze für verfassungswidrig erklärt, aber nicht aktiv ändert, kann der israelische Gerichtshof bis zu einem gewissen Grad selbst Politik betreiben. Im Jänner kippte das Gericht beispielsweise die Ernennung vom Vorsitzenden der streng-religiösen Schas-Partei, Arie Deri, als Gesundheits- und Innenminister. Der Grund: Seine kriminelle Vergangenheit sei "unangemessen".

Experte sieht die Reformpläne kritisch

Christoph Bezemek von der Uni Graz sieht die Justizreform jedenfalls kritisch. "Die Gefahr, dass hier der Rechtsstaat von einer politischen Mehrheit beschnitten wird, ist jedenfalls real." Der Oberste Gerichtshof würde als letzte Instanz aller Gericht und als Verfassungsgericht auch Minderheiten schützen. Eine Veränderung der Kompetenzen, wie sie am Montag von der Knesset beschlossen wurde, sei laut Bezemek "eine Verschiebung hin zu mehr Macht für die Exekutive und weniger für die Judikative".

Neu ist das Vorgehen jedenfalls nicht, auch in Polen und Ungarn würde die Judikative schrittweise entmachtet und der Rechtsstaat ausgehöhlt. Die Folgen der Justizreform könnten sich noch gravierend sein. "Es kann nun zu dem Fall kommen, dass der Oberste Gerichtshof selbst über die Angemessenheit der Reform entscheiden muss. Das bietet jedenfalls das Potenzial einer handfesten Staatskrise", so Bezemek.

Die israelische Bevölkerung ist bei der Frage der Reform tief gespalten. Einer vom Fernsehsender Kan veröffentlichten Umfrage zufolge sind 46 Prozent der Israelis gegen die Reform, 35 Prozent befürworten sie und 19 Prozent sind unentschlossen.