Trotz massiver landesweiter Proteste hat Israels Parlament ein Kernelement der umstrittenen Justizreform verabschiedet, das die rechts-religiöse Regierung von Premier Netanjahu vorgelegt hat. 64 von 120 Abgeordneten stimmten für den Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeiten des Höchsten Gerichts in Israel einschränkt. Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets. Die Opposition kritisiert es als Gefahr für Israels Demokratie.

Mit dem neuen Gesetz ist es dem Höchstgericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" zu bewerten. Kritiker befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten und Entlassungen begünstigt. Die Netanjahu-Regierung wirft der Justiz dagegen vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen.

Präsident war um Einigkeit bemüht

Präsident Itzhak Herzog versuchte im letzten Moment noch einen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition in dem umstrittenen Vorhaben zu erreichen. Am Sonntagabend traf er nach Angaben seines Büros dazu Regierungschef Netanyahu und Oppositionsführer Yair Lapid. Offenbar blieben seine Versuche ohne Erfolg.

"Eine Einigung muss erzielt werden", forderte Herzog. Lapid zeigte sich nach dem Treffen mit einem Vorschlag Herzogs, über den zunächst keine konkreten Details bekannt wurden, einverstanden. "Ich werde mein Möglichstes tun, um einen breiten Konsens für ein demokratisches und starkes Israel zu erreichen", schrieb er bei Twitter. Netanjahu äußerte sich zunächst nicht.

Sowohl Gegner als auch Befürworter der Justizreform demonstrierten am Sonntagabend. Während in der Küstenstadt Tel Aviv Zehntausende Unterstützer des geplanten Justizumbaus zusammenkamen, versammelten sich in der Hauptstadt Jerusalem Zehntausende, die dem Vorhaben ablehnend gegenüberstehen. In Jerusalem hatte zudem am Sonntag zu Mittag eine Demonstration für einen Konsens beider Lager stattgefunden.

Journalist attackiert

Medienberichten zufolge griffen Befürworter der Justizreform einen Journalisten und dessen Kamerateam aus zunächst ungeklärter Ursache an. Den Angaben nach kamen viele der Demonstranten mit Bussen aus anderen Orten des Landes sowie Siedlungen im besetzten Westjordanland in das als liberal geltende Tel Aviv.

Das Treffen von Netanyahu und Herzog fand Medienberichten zufolge im Spital statt. Der 73-Jährige bekam nur wenige Stunden vor Beginn der Beratungen in der Sheba-Klinik bei Tel Aviv einen Herzschrittmacher eingesetzt. Netanyahu war vor einer Woche ins Krankenhaus eingeliefert worden. Damals hieß es noch, er sei zu lange ohne Wasser und Kopfbedeckung in der Sonne gewesen. Montagfrüh wurde Netanyahu aus dem Krankenhaus entlassen.

Alle bisherigen Verhandlungen zwischen der rechten Koalition und der Opposition blieben ohne Erfolg. Netanjahus Likud-Partei hatte zudem erst am Sonntag einen vor einigen Tagen vom Dachverband der Gewerkschaften (Histadrut) eingebrachten Vorschlag über eine Einigung abgelehnt.

Oberstes Gericht soll schrittweise entmachtet werden

Die aktuelle Regierung ist die am weitesten rechts stehende, die Israel je hatte. Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck der streng religiösen Koalitionspartner Netanjahus. Die Reform könnte ihm aber auch in einem Korruptionsprozess, der schon länger gegen den Regierungschef läuft, in die Hände spielen.

Zuletzt nahm auch der Widerstand im Militär zu. Etwa 10.000 Reservisten kündigten an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte die Regierung ihre Pläne nicht stoppen. Berichten zufolge könnte dies die Einsatzbereitschaft des Militärs erheblich beeinträchtigen. Am Freitag hatten bereits mehr als 1000 Reservisten der Luftwaffe mit Dienstverweigerung gedroht. Daraufhin gab Verteidigungsminister Yoav Galant bekannt, sich um einen "Konsens" zu bemühen.

Israels Institut für Nationale Sicherheitsstudien schrieb am Sonntag: "Der Schaden für die nationale Sicherheit Israels ist Realität geworden." Sollte das Gesetz nicht gestoppt werden, werde nicht nur dem Militär Schaden zugefügt, sondern auch der Wirtschaft und den Beziehungen zu wichtigen Bündnispartnern wie den USA.

Ein Zusammenschluss der 150 größten Unternehmen im Land rief für Montag zu einem Streik auf. Von der Arbeitsniederlegung betroffen sind laut Medien auch einige große Einkaufszentren. Auch mehrere große Hightech-Unternehmen wollen sich Berichten zufolge dem Streik anschließen. Die Start-up-Szene gilt als wichtigstes Zugpferd der israelischen Wirtschaft.