Seine Beine tragen rote Flecken, die Füße sind angeschwollen, die Riemen an den Schlapfen am äußersten Loch befestigt. Das Gehen fällt ihm schwer, sein Sohn muss ihn mit dem Auto fahren, auch zu diesem Interview. Dabei ist er erst 60 Jahre alt. Er, Khaled el-Masri.
"Ich fühle mich gleich wie früher", sagt er, "hilflos." Er liege die meiste Zeit im Bett, die Augen Richtung Plafond. Masri hat ein schwaches Herz, hatte in der Vergangenheit ein Lungenödem. Und Masri leidet an Polyneuropathie, einer Nerven-Krankheit, die von seiner Vergangenheit herrühren könnte. Masri fühlt sich eingesperrt. Wie damals. Vor zwanzig Jahren. Die Geschichte verfolgt ihn bis heute. "Sie hat mich zu dem gemacht, was ich bin", wird er später im Gespräch betonen. Er versucht erst gar nicht, dieser Geschichte zu entkommen. Es wäre ohnehin zwecklos.

Alles Schwarz

Im Jahr 2003 begann das Martyrium des Deutsch-Libanesen. Masri wird vom US-Geheimdienst CIA entführt. Eine verheerende Verwechslung. Auf dem Weg in den Urlaub wird der damals 40-Jährige an der mazedonischen Grenze festgenommen. Sein Pass sei gefälscht, so die Begründung. Er wird in ein Hotel in Skopje gebracht. 23 Tage wird er dort festgehalten. Danach wird er nach Afghanistan verschleppt.
Lässt sich über so ein Trauma überhaupt sprechen? Scheinbar. Masri nimmt einen Schluck von seinem Verlängerten. Er spricht ruhig, seine Stimme bebt nie, auch wenn er über schier Unvorstellbares spricht. Aber Masri erinnert sich nur dunkel. Nicht, weil er das Erlebte verdrängt hätte. Seine Erzählung ist klar, voller Details. Aber schwarz. Oft wurden ihm die Augen verbunden. Oder aber er stand vermummten Beamten gegenüber. Das Leben, das er kannte, es war plötzlich von einem erdrückenden Schleier bedeckt.

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Entführt, verhört, gefoltert

Masri wurde monatelang gefoltert, verhört. Aufgrund einer Namensgleichheit gingen US-amerikanische Behörden davon aus, dass er eine Schlüsselfigur des Terrornetzwerks Al Kaida sei. Erst nach mehreren Monaten wird er freigelassen und nachts in einem albanischen Wald ausgesetzt. Als er zu Hause ankommt, findet er eine leere Wohnung vor, erzählt Masri. Er hält inne, dann weint er. Masri war im Streit alleine in den Urlaub gefahren. Die Familie wusste nichts von seiner Verschleppung, zog in der Zwischenzeit verwirrt aus dem Haus aus.

Dass Masri die Geschichte erzählt, ist keine Selbstverständlichkeit. Zu oft rissen die Schilderungen alte Wunden auf. Masri braucht jetzt, im Gespräch, eine Pause. Sein Sohn, beim Interview in Reichweite, bringt ihm eine Schüssel mit kaltem Wasser. So schmerzen seine Füße weniger. Der Vorgang der beiden wirkt vertraut. Bald zittert Masri weniger.

Lange galten Erzählungen von sogenannten Geistergefangenen, die von US-Spezialtrupps nach 9/11 auf europäischem Boden verschleppt wurden, als krude Verschwörungstheorien. "Was sollte ich sagen? Hallo, ich bin Khaled el-Masri und komme gerade aus Afghanistan, wohin ich von der CIA verschleppt wurde?", erinnert sich Masri an seine Rückkehr nach Deutschland. Im Gespräch mit Freunden und Bekannten suchte er zunächst Ausreden für seine lange Abwesenheit. Nur seine Frau wusste, was wirklich geschehen war. Später half Masri dabei, die Praxis der illegalen Gefangenennahmen aufzudecken. Ein Bericht in der "New York Times" im Jahr 2005 erregte weltweit Aufsehen.

Khaled el-Masri im Gespräch mit Julian Melichar (l.)
Khaled el-Masri im Gespräch mit Julian Melichar (l.) © (c) KLZ/ Pajman

Auf eine Entschuldigung, geschweige denn eine Entschädigung seitens der USA, wartet er bis heute. Seine Klagen wurden von einem US-Gericht abgewiesen. Die Begründung: der Fall "berühre Staatsgeheimnisse". Zwar wurden in Deutschland Haftbefehle gegen 13 CIA-Mitarbeiter ausgestellt, vollstreckt wurden diese jedoch nie. Am meisten enttäuscht haben Masri die deutschen Behörden, von denen er sich mehr Unterstützung erhofft hatte. Bis heute ist die Rolle Deutschlands in dem Fall umstritten. "Für mich sind sie mitschuldig", sagt Masri.

"Ich wollte Antworten, kein Geld"

Das Leben von Khaled el-Masri – es ist auch eine Geschichte von Kontrollverlusten. Denn er tat sich schwer, in sein altes Leben zurückzufinden. Zu tief saß der Schock, das Unverdauliche. Masri schildert Einschüchterungsversuche im Alltag, unbekannte Personen, die ihn kontaktierten. "Das wollte ich meinem Anwalt nicht erzählen. Der hätte gedacht, ich sehe Gespenster." Er fühlte sich verfolgt. Und verlor die Fassung. 2007 legte er nach einer Diskussion in einem Großhandelsmarkt Feuer, 2009 verprügelte er den Neu-Ulmer Oberbürgermeister. Über Nacht wurde er vom deutschen Boulevard zum "Terroristen" erklärt. Wieder einmal. Auf seine Psychologin, die ihm empfohlen hatte, sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, um Traumata verheilen zu lassen, hatte er nicht gehört. Er landete im Gefängnis, kam erst 2014 frei.

Inzwischen hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass Mazedonien bei seiner Auslieferung an US-Behörden gegen seine Grundrechte verstoßen hatte. Masri erhielt 60.000 Euro Entschädigung. "Der Gerichtshof ist keine Wechselstube. Es steht denen nicht zu, mein Recht in Geld zu wechseln. Ich wollte Antworten, kein Geld", betont Masri. Die Antworten bleiben ihm bis heute verwehrt.
Schließlich will Masri Deutschland verlassen, zunächst in Richtung Vereinigte Emirate.

Doch der nächste Rückschlag wartet. Haltlose Gerüchte, wonach er Kontakt zum Islamischen Staat aufgenommen hätte, machen die Runde. In einem Interview auf die Vorwürfe angesprochen, antwortet Masri nur: "Darüber will ich nicht sprechen." Eine groteske Trotzaktion. Doch gibt sie Aufschluss über Masris Gefühlswelt. Seit seinem Martyrium fühlt sich der Deutsch-Libanese als Terrorist gebrandmarkt, als Gesetzloser in einer kafkaesken Welt voller stummer Regelmäßigkeiten. Bis heute trägt er die Wut in sich, auch wenn er sie gut versteckt. "Ich wollte niemandem eine Erklärung schuldig sein. Wieso auch? Nach allem, was passiert ist."

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Masri, der Sozialfall

Schließlich landet Masri mit seiner Frau und seinen sechs Kindern in Graz. Das Glück bleibt ihm auch hier verwehrt. Sein Lebensmittelgeschäft muss er nach zwei Jahren schließen. Er wird Lkw-Fahrer. Bis er krankheitsbedingt aufhören muss.

Heute ist Masri ein Sozialfall. Krankengeld und 600 Euro Familienbeihilfe monatlich hat er zur Verfügung. "Die Miete kann ich nicht mehr bezahlen." Im August muss er ausziehen. Wohin, ist unklar. Nach einem Interview mit dem "Standard" und dem "Spiegel" habe sich Bürgermeisterin Elke Kahr in die Causa eingeschaltet, erzählt er. Aus ihrem Büro wird auf Nachfrage der Kleinen Zeitung bestätigt, dass man an einer Lösung arbeite. Zum ersten Mal hört man in Masris Stimme so etwas wie Hoffnung: "Es ist nicht einfach, als ständig entwurzelter Baum wieder zu wachsen", sagt er. "Viele Bäume sterben beim Transportieren. Und alte Bäume haben es auch schwer. Aber wer weiß."