Die Außenminister der EU-Staaten – darunter Österreichs Ressortchef Alexander Schallenberg (ÖVP) – beraten am Donnerstag in Brüssel über mögliche langfristige Unterstützungszusagen für die von Russland angegriffene Ukraine. Schallenberg kritisierte Russland nach dem Ende des Schwarzmeer-Abkommens zur Ausfuhr ukrainischen Getreides scharf. "Moskau setzt Hunger als Waffe ein", sagte er vor Journalisten.

Schallenberg spricht von russischem Zynismus

"Es ist an Zynismus gar nicht mehr zu überbieten, was von russischer Seite geboten wird", so Schallenberg in Brüssel. Es sei ein "Schlag ins Gesicht von Staaten in Afrika und anderswo, die auf dieses Getreide angewiesen sind". "Moskau bemerkt das auch gerade, weil Putin jetzt versucht, eine Kurve zu kratzen", glaubt der Außenminister. Russlands Staatschef Wladimir Putin schloss am Mittwoch eine Wiederaufnahme des Getreideabkommens nicht mehr aus – allerdings nur unter den von Russland gestellten Bedingungen.

Die Europäische Union verlängerte unterdessen ihre Sanktionen gegen Russland um sechs Monate. Die Strafmaßnahmen seien nun bis zum 31. Jänner 2024 in Kraft, teilt der EU-Rat mit. Die Sanktionen wurden 2014 nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland eingeführt und nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 verschärft.

Was die geplante Unterstützung der EU für die Ukraine betrifft, forderte Schallenberg ein "Gesamtpaket". Derzeit stehen etwa 50 Milliarden Euro – 17 Milliarden Euro Zuschüsse, 33 Milliarden Euro Darlehen – vom EU-Budget sowie zusätzliche 20 Milliarden Euro Militärhilfe für das kriegsgebeutelte Land im Raum.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte seinerseits angesichts der russischen Angriffe auf Hafenanlagen eine Ausweitung der Militärhilfe. Man habe es mit einer sehr ernsten und neuen Situation zu tun, weil in den Häfen Getreidevorräte zerstört würden und dies in anderen Teilen der Welt eine Nahrungsmittelkrise verursachen werde, erklärte der Spanier am Donnerstag am Rande des EU-Außenministertreffens. Die einzige Lösung sei nun, die militärische Unterstützung zu erhöhen und weitere Luftverteidigungssysteme zu liefern. "Die massiven Angriffe der vergangenen drei Nächte erfordern von unserer Seite eine Antwort", betonte er.

Russland, das am vergangenen Montag trotz großer Kritik ein international vermitteltes Getreideabkommen mit der Ukraine auslaufen ließ, hatte in den vergangenen Nächten gezielt die Hafenregion Odessa bombardiert. Durch den Beschuss wurden dort ukrainischen Angaben zufolge zuletzt rund 60.000 Tonnen Getreide vernichtet.

Borrell will Finanzmittel aufstocken

Konkret will Borrell nach eigenen Angaben bei dem Außenministertreffen auch dafür werben, die Finanzmittel für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die von Russland angegriffene Ukraine erneut deutlich aufzustocken. Nach einem an die EU-Staaten übermittelten informellen Vorschlag sollen im Zeitraum von 2024 bis Ende 2027 jährlich fünf Milliarden Euro für Rüstungshilfen und Ausbildungsprogramme für die ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung gestellt werden. Insgesamt wären das 20 Milliarden Euro zusätzlich. Die EU-Kommission fordert von den EU-Staaten dazu mehr Geld für den EU-Haushalt. Österreich weist dies zurück und verlangt Umschichtungen und Verschiebungen innerhalb des Budgets, wie Schallenberg am Donnerstag erneut bekräftigte.

Weiteres Thema des letzten regulären EU-Außenministertreffens vor der politischen Sommerpause sind die Beziehungen der EU zur Türkei nach der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. "Wir anerkennen sehr stark die Rolle der Türkei" in der Vermittlung des Getreideabkommens, sagte Schallenberg. Aber die Position zur Türkei sei "sehr klar", das EU-Beitrittsverfahren "liegt auf Eis", betonte er weiter.

Ankara hatte nach seiner Zustimmung zur Aufnahme Schwedens in die Nato konkrete Fortschritte beim angestrebten EU-Beitritt gefordert. Nach Ansicht Schallenbergs ist dabei allerdings seitens der EU kein "besonderes Entgegenkommen" notwendig. "In Wirklichkeit sollten wir eine pragmatische, funktionierende Nachbarschaft aufbauen mit der Türkei, statt dieser Illusion der Beitrittsgespräche, die seit Jahren eigentlich tot sind."

Auch Taliban auf der Agenda

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock warb bei dem EU-Treffen in Brüssel für neue Gespräche über die Beziehungen zur Türkei. Nach den jüngsten Wahlen in dem Land sei es wichtig, noch einmal zu reflektieren, wie man mit einem "nicht einfachen Nachbarn, aber einem globalen, strategisch wichtigen Akteur in unserer direkten Nachbarschaft" zusammenarbeiten werde, sagte die deutsche Politikerin am Donnerstag. "Jetzt nach den Wahlen ist ein Moment für eine strategische Reflexion."

Die EU erlässt nach Angaben Baerbocks neue Sanktionen gegen Vertreter der in Afghanistan regierenden Taliban. Betroffen seien auch Minister, die dafür verantwortlich seien, dass Frauen und Mädchen nicht zur Schule oder aus dem Haus gehen könnten, erklärte die Politikerin am Donnerstag am Rande des EU-Außenministertreffens. Es gehe um schlimmste Verbrechen gegen Menschenrechte. Dies könne die Welt nicht tatenlos akzeptieren.

In Afghanistan haben die militant-islamistischen Taliban seit ihrer erneuten Machtübernahme im August 2021 Mädchenschulen ab der siebenten Klasse geschlossen. Zuletzt wurde auch die Schließung von Schönheitssalons bis Ende Juli angeordnet. Für afghanische Frauen fällt damit eine der wenig verbliebenen Verdienstmöglichkeiten weg.