Seit März ist ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Kinderrechtsbeauftragte Marija Lwowa-Belowa ausständig. Die Vollstreckung des Haftbefehls ist jedoch schwierig – sowohl politisch als auch rechtlich. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock will daher an einigen Schrauben im Völkerrecht drehen, um bisherige juristische Fragen zu klären. Mögliche Änderungen des internationalen Rechts sollen dafür sorgen, dass Putin für seine mutmaßlichen Verbrechen in der Ukraine schneller zur Verantwortung gezogen werden kann.
Auf den Spuren von Benjamin Ferenczs
Bei ihrer Rede vor der UNO-Generalversammlung zitierte Baerbock den Chefankläger der Nürnberger Prozesse, Benjamin Ferenczs, der im April im Alter von 103 Jahren verstorben ist: "Es schmerzt mich, die Welt so zu sehen. Aber nichts zu tun, es nicht zu versuchen, das wäre falsch". Deutschlands oberste Diplomatin erwägt daher Veränderungen des Völkerrechts.
Konkret will Baerbock die Strafverfolgungskompetenzen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (IStGH) auf das Verbrechen der Aggression ausweiten. Das darf das Tribunal bereits seit 2018, jedoch nur dann, wenn auch der Aggressor den Gerichtshof anerkennt. Russland tut aktuell das nicht. Der Völkerrechtsexperte Ralph Janik nennt den Vorschlag von Baerbock "einen möglichen Lückenschluss". Nachdem sich die Ukraine nun dem Gerichtshof unterworfen habe, wäre die Möglichkeit für diesen Vorstoß jedenfalls gegeben. "Immerhin finden die Aggressionen derzeit auf ukrainischem Boden statt", so Janik.
Baerbock will Putin nach ukrainischem Recht richten
Baerbock brachte zudem eine weitere mögliche Änderung auf die Agenda. Demnach soll Putin für seine mutmaßlichen Verbrechen nach ukrainischem Recht angeklagt werden. Das Verfahren sollen dann internationale Richter führen. Ein derartiges hybrides ad-hoc-Gericht wurde bereits nach dem Krieg in Sierra Leone eingerichtet. "Völkerrecht hat auch immer eine symbolische Komponente, sollten mehrere internationale renommierte internationale Richter dieses Verfahren führen, würde das natürlich für Aufsehen sorgen", so Janik.
Der Experte meint, dass je internationaler das Gericht besetzt sei, die Autorität steigen würde. Neben bereits ausübenden Richtern könnten dann auch bereits pensionierte Richter oder andere Juristen über Putin urteilen. Mit einem derartigen Vorgehen würde man zudem den Vorwurf entkräften, dass der Internationale Strafgerichtshof politisch motiviert handle. Unterstützung bekommt Bearbock mit ihrer Idee von den übrigen G-7-Staaten, zu denen auch Frankreich, Italien, Japan sowie die USA. Die Vereinigten Staaten erkennen den Strafgerichtshof nicht an.
Rückkehr zur Normalität ausgeschlossen
Generell wird gegen Putin und seine Kinderrechtsbeauftragte wegen der Deportation ukrainischer Kinder und Jugendlicher nach Russland ermittelt. Moskau spricht dabei von "Evakuierungen".
Völkerrechtlich ist die Frage der Strafverfolgung klar. "Jedes Land, das den Internationalen Strafgerichtshof anerkennt, müsste Putin verhaften, wenn er das Land betritt", so Janik. Ob nationale Behörden sich das auch trauen würden, wäre jedoch wieder eine andere Frage.
Derzeit wird der IStGH von 123 Vertragsstaaten unterstützt. Dass Putin nach einem möglichen Kriegsende wieder ohne Konsequenzen Staatsbesuche in Vertragsstaaten des IStGH wahrnehmen kann, glaubt Janik nicht. "Der Haftbefehl wird aufrecht bleiben, eine Rückkehr zur Normalität ist nahezu ausgeschlossen".