Auch innerhalb der EU würd noch "immer intensiv diskutiert" werden, sagte Nehammer am Montag in Brüssel. Seit Abschluss der Verhandlungen 2019 liegt das Abkommen auf Eis. Es muss noch von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, doch einige Länder wollen ihre Märkte schützen, andere fürchten die Aufweichung von Arbeits- oder Umweltstandards. Zuletzt war auch in Südamerika die Skepsis gegenüber geplanten Pakt gewachsen.
Auch die Ukraine ist auf der Agenda
Die EU-Kommission versucht, die verhärteten Fronten aufzubrechen. "Wir kennen die Änderungsvorschläge noch gar nicht, wir werden sehen, wie dann die Entwicklungen weitergehen, aber die österreichische Position ist klar", bekräftigte Nehammer. Dabei verwies er auf die "Sondersituation" Österreichs, wo es "auch einen Beschluss des Parlaments gegen Mercosur" gebe. Gleichzeitig betonte Nehammer im Hinblick auf die Zusammenarbeit im Rohstoffbereich mit Chile, dass es wichtig sei, "Partnerschaften zu schließen".
Darüber hinaus dürfte über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine gesprochen werden. Der Umgang mit dem Krieg könnte zu Streit führen. Zwar verurteilten einige lateinamerikanische Staatschefs den russischen Angriff auf die Ukraine grundsätzlich, allerdings stemmen sie sich gegen harte Sanktionen gegen Russland. Viele Staats- und Regierungschefs in Lateinamerika fordern Friedensgespräche und lehnen eine klare Unterstützung der Ukraine in dem Krieg ab.
Nehammer sieht Diskussionsbedarf
Bei diesem Thema ortete Nehammer "Diskussionsbedarf". Lateinamerika sei "nicht eins", betonte der Kanzler weiter. Es gebe sehr wohl klare Positionierungen gegen Russland, bei anderen wie beispielsweise Kuba jedoch gar nicht. "Mit dem muss man umgehen, aber vor allem viel diskutieren und sprechen", so Nehammer. Das gemeinsame Ziel sei, "dass der Krieg aufhört" und dass das Getreide aus der Ukraine wieder in die Welt kommt.
Lateinamerika und die karibischen Staaten sind nach Ansicht Nehammers ein "wichtiger Partner" - vor allem im Rohstoffbereich. Dass Europa den Wettkampf gegen China verliert, glaubt er nicht. "Europa hat gezeigt, wie stark es sein kann, wenn es einig ist", betont der Kanzler. "Wir sind nach wie vor ein starker Partner, aber wir müssen uns anstrengen, wir dürfen niemals aufhören, die Konkurrenz ist groß, die Konkurrenz schläft nicht."
Brasilien wünscht sich Einigung
Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva strebt dann trotz anhaltender Differenzen mit europäischen Staaten einen zügigen Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens an. Man wolle den Deal noch "in diesem Jahr abschließen", sagte Lula am Montag in Brüssel vor einem Gipfeltreffen. Ein "ausgewogenes Abkommen" werde "neue Horizonte" eröffnen.
Rund um den Gipfel haben sich auch heimische Unterstützer und Gegner des EU-Mercosur-Handelspakts mit bekannten Standpunkten zu Wort gemeldet. "Nach 20 Jahren Verhandlungen ist das EU-Mercosur-Handelsabkommen ein Dinosaurier und nicht geeignet für die akuten Herausforderungen der Klimakatastrophe", wiederholte der grüne Europaabgeordnete Thomas Waitz seine Kritik.
Kritik von NGOs
Von der Wirtschaftsseite sind die Wirtschaftskammer (WKÖ) bzw. der dort herrschende ÖVP-Wirtschaftsbund sowie die Industriellenvereinigung vehement für einen Abschluss. Bei den Sozialpartnern sind Landwirtschaftskammer, Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund dagegen. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen aus dem Gesellschaftspolitik- und Umwelt-Bereich lehnen den Pakt auch vehement ab, darunter ist etwa Attac.
Einmal mehr mahnte diese globalisierungskritische Gruppe am Montag zu einem Stopp des Abkommens. Zahlreiche internationale Vertreterinnen der gut 450 Organisationen starken zivilgesellschaftlichen Allianz "Stopp EU-Mercosur" protestierten daher heute an Ort und Stelle in Brüssel gegen die umstrittenen Handelsabkommen EU-Mercosur, EU-Chile und EU-Mexiko. "Diese drei Deals haben viel gemeinsam", so Theresa Kofler von Attac Österreich. "Sie sind Gift für Menschenrechte, Klimaschutz und für uns alle als Konsumentinnen." Statt die Bevölkerung einzubinden, würden neue Regeln von oben herab verordnet, die nur den Interessen von Konzernen und Großinvestoren dienten.
Genau bei den Regeln setzt allerdings auch die positive Kritik der Befürworter an. Beide Seiten würden durch gegenseitigen Marktzugang sowie "faire Wettbewerbs- und Handelsregeln massiv profitieren", so die Vize-Generalsekretärin der WKÖ, Mariana Kühnel. "Ohne Abkommen verzichten wir freiwillig darauf, positiv auf andere Regionen einzuwirken und den europäischen Standort zu stärken." Beispielsweise könnten durch eine Angleichung der Standards weitere Hürden für heimische Exporteure und ihre Beschäftigten abgebaut werden. Das gelte auch für das EU-Chile und -Mexiko-Abkommen. "Gerade in geopolitisch herausfordernden Zeiten, ist für eine Exportnation wie Österreich eine aktive europäische Handelspolitik ein essenzielles Standbein der Wettbewerbsfähigkeit."
Südamerika und Karibik von immenser Bedeutung
Die strategische Bedeutung Lateinamerikas und der Karibik sei für die EU immens, so Kühnel. Und vor dem Hintergrund der geopolitischen Entwicklungen sei eine Diversifizierung der Absatz- und Beschaffungsmärkte "Gebot der Stunde. Eine engere Zusammenarbeit mit Lateinamerika ermöglicht es Europa, die Abhängigkeit von China - etwa bei Rohstoffen oder Vorprodukten - zu reduzieren." Gerade mit Blick auf die grüne Wende brauche die EU Zugang zu wichtigen Rohstoffen wie Lithium in Südamerika. Die Chance des EU-Mercosur-Pakts dürfe nicht verpasst werden, so die Wirtschaftsvertreterin.
Der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria sieht solche Pakte "zur Sicherung unseres Wohlstands unabdingbar" und verweist dabei auf eine zunehmend fragmentierte Welt, in der Europa aktuell an wirtschaftlichem Boden verliere. Abkommen böten beispielsweise Rechtssicherheit. Protektionismus mache "ärmer".