Am Abend demonstrierten alleine in Tel Aviv trotz äußerst schwülen Wetters Medienberichten zufolge mehr als 150.000 Menschen gegen die Pläne der rechts-religiösen Regierung von Benjamin Netanyahu. Auch in anderen Städten protestierten Tausende Menschen.

Angst vor Korruption und Postenschacher

Die israelische Regierung will einen Teil der Justizreform im Eiltempo auf den Weg bringen: In rund einer Woche will sie ein Gesetz verabschieden, das dem Höchsten Gericht die Befugnis nehmen soll, Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" zu bewerten. Der Gesetzesentwurf wird in diesen Tagen im Justizausschuss für die finale Abstimmung im Parlament vorbereitet. Kritiker befürchten, das Gesetz könne Korruption und die willkürliche Besetzung hochrangiger Posten begünstigen. Die Regierung wirft den Richtern vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen. Wegen des Gesetzentwurfs nehmen die Proteste derzeit wieder an Fahrt auf.

Reservisten verweigern Dienst

Hunderte Reservisten kündigten unterdessen an, ihren Dienst nicht mehr antreten zu wollen, sollte das Gesetz kommen. Hunderte weitere könnten ihrem Beispiel folgen. Auch mehr als Tausend Ärzte drohten mit Arbeitsniederlegungen. Sie fürchten durch die Justizreform negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, Demokratie und Sicherheit des Landes - und damit auch auf das Gesundheitssystem.

Netanyahu musste Vertrauten entlassen

Anfang des Jahres hatte das Höchste Gericht die Ernennung des Vorsitzenden der Shas-Partei, Arie Deri, zum Innenminister wegen dessen krimineller Vergangenheit als "unangemessen" eingestuft. Daraufhin musste Netanyahu seinen Vertrauten entlassen. Beobachter erwarten, dass die Koalition dies mit dem neuen Gesetz wieder rückgängig machen will.

Gespaltene Gesellschaft

Die Regierungspläne spalten die Gesellschaft. Jüngsten Umfragen des israelischen Senders "Channel 12" zufolge fürchten derzeit 67 Prozent der Menschen, dass ein Bürgerkrieg im Land ausbrechen könnte. Für Dienstag sind bereits die nächsten Kundgebungen geplant. An einem "Tag des Widerstands" wollen die Demonstranten unter anderem wieder Straßen im ganzen Land blockieren.

Die Kundgebungen am Samstag waren bereits die 28. Samstagsdemonstration gegen die Reformpläne. "Dies ist ein Kampf um unser Land, wir wollen Israel demokratisch halten", sagte in Tel Aviv die Demonstrantin Nili Elezra der Nachrichtenagentur AFP. Die Proteste richten sich auch gegen die rechts-religiöse Regierung und Ministerpräsident Netanyahu, der am Samstag ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Er veröffentlichte aber bereits nach wenigen Stunden eine Videobotschaft in der er erklärte, dass er sich "sehr gut" fühle. Er sei lediglich nach einem längeren Aufenthalt "in der Sonne, ohne Hut, ohne Wasser" dehydriert. Allerdings entschieden die Ärzte, dass der 73-Jährige über Nacht im Krankenhaus bleiben soll. Die wöchentliche Kabinettssitzung wurde von Sonntag auf Montag verschoben.