Kurz vor Beginn des Nato-Gipfels in Litauen hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Blockade eines Beitritts von Schweden aufgegeben. Erdogan und der schwedische Regierungschef Ulf Kristersson hätten bei einem Treffen eine Reihe von Schritten vereinbart, auf deren Grundlage Erdogan dem türkischen Parlament das Beitrittsprotokoll zur Entscheidung vorlegen werde, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montagabend in der litauischen Hauptstadt Vilnius.

Scharfe Kritik kommt aus der Ukraine

Kritik kommt indes aus der Ukraine, die im Zuge des Nato-Gipfels keine Einladung erhalten dürfte. Es sieht so aus, als ob es keine Bereitschaft gibt, die Ukraine in die NATO einzuladen oder sie zum Mitglied der Allianz zu machen", schrieb der Staatschef am Dienstag auf Twitter. Das bedeute, dass die Mitgliedschaft der Ukraine bei zukünftigen Gesprächen mit Russland ein Verhandlungsgegenstand bleibe.

"Für Russland ist das eine Motivation seinen Terror weiter fortzusetzen", erklärte Selenskyj. Diese Unbestimmtheit sei ein Zeichen der Schwäche des Westens. "Und ich werde das auf dem Gipfel offen ansprechen", sagte er. Er sei unterwegs zum Treffen des Verteidigungsbündnisses, schrieb er am Dienstag auf Twitter. Er habe erfahren, dass es offenbar innerhalb der Allianz noch Diskussionen über Formulierungen und Bedingungen alleine für eine Einladung zur Mitgliedschaft der Ukraine gebe, klagte Selenskyj. Es gebe unter den NATO-Mitgliedern weiter keine Einigkeit über den zeitlichen Rahmen und die Bedingungen eines Beitritts der Ukraine.

Es sei "absurd", dass es keinen Zeitplan für einen Beitritt der Ukraine gebe, urteilte der Präsident. "Unschlüssigkeit ist eine Schwäche", erklärte Selenskyj weiter. Der Kreml reagierte zudem ebenfalls auf die Bestrebungen der Ukraine dem Verteidigungsbündnis beizutreten. Potenziell ist das sehr gefährlich für die europäische Sicherheit", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Er antwortete auf die Frage, was ein schnelleres Beitrittsverfahren für die Ukraine zur Militärallianz bedeutet. 

Deutschland und Franreich liefern Waffen

Deutschland erteilte auch dem ukrainischen Wunsch nach einer formellen Einladung in die NATO eine Absage. Nach Angaben von Diplomaten anderer NATO-Staaten stemmt Berlin sich in den Verhandlungen über die geplante Gipfelerklärung zudem gegen eine Formulierung, dass die Ukraine einen "rechtmäßigen Platz" im Bündnis hat. Die deutsche Bundesregierung wird indes Waffen im Wert von 700 Millionen Euro in die Ukraine liefern.

Auch Frankreich wird der Ukraine Langstreckenraketen liefern. Damit könne sich das Land besser gegen den russischen Angriff verteidigen, begründete Präsident Emmanuel Macron die Entscheidung. "Ich habe beschlossen, die Lieferungen von Waffen und Ausrüstung zu erhöhen, um den Ukrainern die Fähigkeit zu geben, tiefgreifende Angriffe vorzunehmen und gleichzeitig an unserer Doktrin festzuhalten, die es der Ukraine ermöglicht, ihr Territorium zu verteidigen", sagte Macron bei seiner Ankunft beim NATO-Gipfel. Einzelheiten zur Anzahl oder Art der Raketen nennt Macron nicht. Im Mai hat Großbritannien als erstes Land die Lieferung von Langstreckenraketen vom Typ "Storm Shadow" bestätigt.

Stoltenberg sagte: "Die Ukraine ist einen langen Weg gegangen". Daher sollte das Bündnis auf den sonst üblichen Membership Action Plan (MAP) zur Heranführung von Beitrittskandidaten im Fall der Ukraine verzichten. "Die Ukraine ist sehr viel näher an der NATO, insofern sollte sich dies auch in den Entscheidungen der NATO widerspiegeln", betonte Stoltenberg.

Stoltenberg wertet die voranschreitende Erweiterung des Verteidigungsbündnisses als Zeichen für ein Scheitern der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin. "Er zog in den Krieg, weil er weniger NATO wollte. Er bekommt mehr NATO", sagte der Norweger. Dass Finnland schon Mitglied sei und Schweden nun Mitglied werde, zeige, dass Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ein "großer strategischer Fehler" gewesen sei. Er habe sowohl die Ukrainer und die Geschlossenheit der NATO als auch die politischen Konsequenzen in Ländern wie Schweden und Finnland unterschätzt.

Schweden hat Änderungen für Beitritt absolviert

Während die Ukraine warten muss, dürfte Schweden schon bald dem Verteidigungsbündnis beitreten. Stoltenberg verwies auf mehrere Schritte, die Schweden vollzogen hatte, darunter Änderungen an der Verfassung und an Gesetzen, eine Ausweitung von Anti-Terror-Kooperationen gegen die kurdische PKK und die Wiederaufnahme von Waffenexporten in die Türkei. Beide Staaten wollen künftig bilateral über Sicherheit sprechen. Die NATO werde zudem erstmals den Posten eines Sonderkoordinators für Anti-Terror-Aufgaben bekommen, so Stoltenberg. Einer Antwort auf die Frage, wann der NATO-Betritt Schwedens vollzogen sein könnte, wich er aus.

Überraschend hatte Erdogan kurz vor dem Gipfelstart die Zustimmung seines Landes zur Aufnahme Schwedens in die NATO zunächst davon abhängig gemacht, dass der vor Jahren auf Eis gelegte EU-Beitrittsprozess für die Türkei wieder aufgenommen wird. Problematisch ist das, weil die EU der Türkei seit Jahren vorwirft, demokratische und rechtsstaatliche Standards nicht zu erfüllen. Eine Aufnahme der Türkei gilt deswegen auf Jahre hinaus als illusorisch.

US-Präsident Joe Biden wird nun am Rande des Nato-Gipfels mit Erdogan über die Verbesserung der Verteidigung und Abschreckung im euro-atlantischen Raum debattieren und zeigt sich gesprächsbereit für eine Zusammenarbeit. Auf US-amerikanische Bemühungen hin, soll zudem auch darüber diskutiert werden, wie man mit China weiter vorgehen wolle. In Washington wird die Politik Pekings zunehmend auch als Sicherheitsgefahr gesehen.

Bereits am Montagabend nahmen die Nato-Staaten in einem schriftlichen Verfahren neue Pläne für die Abwehr von möglichen russischen Angriffen auf das Bündnisgebiet an. Die Entscheidung soll an diesem Dienstag von den Staats- und Regierungschefs noch einmal bestätigt und dann offiziell verkündet werden.

Die insgesamt mehr als 4000 Seiten starken Verteidigungspläne beschreiben nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur detailliert, wie kritische Orte im Bündnisgebiet durch Abschreckung geschützt und im Ernstfall verteidigt werden sollten. Dafür wird auch definiert, welche militärischen Fähigkeiten notwendig sind. Neben Land-, Luft-, und Seestreitkräften sind auch Cyber- und Weltraumfähigkeiten eingeschlossen. Die Liste der Themen bleibt lang.