Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat eine Zustimmung zur Aufnahme Schwedens in die NATO überraschend von einer neuen Bedingung abhängig gemacht - der Belebung der vor Jahren auf Eis gelegten Beitrittsgespräche der Türkei zur EU. Vor dem Abflug zum NATO-Gipfel sagte Erdogan am Montag in Istanbul an die EU-Länder gerichtet: "Ebnet zunächst den Weg der Türkei in die Europäische Union, danach ebnen wir den Weg für Schweden, so wie wir ihn für Finnland geebnet haben."

Türkei gibt sich bereit für die EU

"Ich möchte eine Tatsache unterstreichen. Die Türkei hat 50 Jahre lang vor der Tür der EU gewartet", sagte Erdogan nun. "Fast alle NATO-Mitglieder sind auch EU-Mitglieder. Ich wende mich nun an diese Länder, die die Türkei sei über 50 Jahren haben warten lassen, und ich werde mich erneut an sie in Vilnius wenden."

Die Äußerung kommt überraschend. Bisher hatte Erdogan als Hauptgrund für die Blockadehaltung der Türkei zum NATO-Beitritt vor allem Schwedens aus türkischer Sicht unzureichendes Vorgehen gegen "Terrororganisationen" genannt. Er bezieht sich damit vor allem auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, die in der Türkei, EU und den USA auf der Terrorliste steht.

Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte Schweden im Mai 2022 gemeinsam mit Finnland die NATO-Mitgliedschaft beantragt. Finnland wurde Anfang April als 31. Mitglied im Bündnis willkommen geheißen, Schweden fehlte dagegen weiterhin die Zustimmung aus der Türkei und auch aus Ungarn.

Verstimmungen wegen Koran-Verbrennungen

Die Türkei, Finnland und Schweden waren sich eigentlich bereits auf dem NATO-Gipfel im vergangenen Sommer in Madrid einig geworden. In der spanischen Hauptstadt hatten sie damals ein Memorandum unterzeichnet, in dem die beiden nordischen Länder auf die von Beginn an vorgebrachten Bedenken der Türkei eingingen.

Erdogan betonte aber nun erneut, dass Schweden die Bedingungen im Memorandum aus seiner Sicht weiter erfüllen müsse, um in Sachen NATO-Beitritt voranzukommen.

Die EU hatte bereits 2005 mit der Türkei Beitrittsgespräche begonnen. Diese wurden allerdings vor einigen Jahren wieder auf Eis gelegt, weil Brüssel inakzeptable Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit sah. Erdogan hatte auch lange Zeit kein gesteigertes Interesse daran gezeigt, dass der EU-Annäherungsprozess wieder an Fahrt gewinnt.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich trotz neuer türkischer Forderungen zuversichtlich, die Türkei beim NATO-Gipfel zur Aufgabe ihrer Blockade eines Bündnisbeitritts von Schweden zu bewegen. "Es ist immer noch möglich, hier in Vilnius eine positive Entscheidung über die schwedische Mitgliedschaft zu haben", sagte er am Montag bei einer Pressekonferenz mit Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda.

Momentum des Gipfels

"Wir haben keine Gewissheit, wir haben keine Garantien. Aber natürlich haben wir das Momentum des Gipfels mit den Staats- und Regierungschefs hier. Und wir werden dieses Momentum nutzen, um größtmögliche Fortschritte zu erzielen", sagte Stoltenberg.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich gegen eine Verknüpfung des NATO-Beitritts Schwedens mit einer Wiederbelebung des EU-Beitrittsprozesses mit der Türkei aus. Beide Fragen würden nicht miteinander zusammenhängen, sagte Scholz am Montag in Berlin. "Deshalb, finde ich, sollte man das nicht als ein zusammenhängendes Thema verstehen." Scholz bekräftigte, dass Schweden alle Voraussetzung für einen NATO-Beitritt erfülle. "Ich hoffe, dass es uns bald gelingt, dass Schweden NATO-Mitglied werden kann."

Erdogan war Ende Mai nach 20 Jahren an der Macht erneut zum Präsidenten gewählt worden. Der Wahlkampf galt als unfair, unter anderem weil die Medien zum großen Teil unter Kontrolle der Regierung stehen und politische Gegner im Gefängnis sitzen.

In der litauischen Hauptstadt Vilnius tagen am Dienstag und Mittwoch die Staats- und Regierungschefs der Allianz. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat wiederholt die Hoffnung geäußert, Schweden in Vilnius als 32. Mitgliedstaat des transatlantischen Bündnisses begrüßen zu können. Am Montag wollte Stoltenberg einen letzten Vermittlungsversuch unternehmen. In Vilnius sollten dazu Erdogan mit Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson zusammenkommen.