Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow ist erstmals seit der auch gegen ihn gerichteten Meuterei der Wagner-Söldner im Juni wieder in der Öffentlichkeit aufgetreten. Das ist ein Zeichen dafür, dass der drittmächtigste Mann im russischen Militär seinen Posten behalten hat. Dennoch mehren sich derzeit rund um die russische Führung Gerüchte und Spekulationen.
Surowikin bleibt verschwunden
Gerassimow wird in einem veröffentlichten Video darüber informiert, dass am Sonntag ukrainische Raketenangriffe auf die annektierte Halbinsel Krim sowie auf die russischen Regionen Kaluga und Rostow vereitelt worden seien. Die Offiziere diskutieren darüber, wie darauf reagiert werden solle. Dem Ministerium zufolge fand das gezeigte Treffen am Sonntag statt. Es titulierte Gerassimow als Chef des Generalstabes der russischen Streitkräfte und Befehlshaber der russischen Streitkräfte in der Ukraine – die Posten, die er bereits vor der Söldner-Meuterei innehatte.
Nicht zu sehen in dem Video ist General Surowikin. Stattdessen fragt Gerassimow nach einem Bericht von dessen Stellvertreter bei den Luft- und Raumfahrtstreitkräften, Viktor Afsalow. Wo sich Surowikin, der von russischen Medien wegen seines massiven Vorgehens in Syrien "General Armageddon" genannt wird, aufhielt, war nicht bekannt. Offiziell ist Surowikin Oberbefehlshaber der Luft- und Raumfahrtstreitkräfte.
"Wir stellen fest, dass die Luft- und Raumfahrtkräfte die Aufgabe gemeistert haben", sagte Gerassimow. Dann forderte er sie sowie den Geheimdienst GRU auf, "die Lagerorte und Abschusspositionen von Raketen und anderen Angriffswaffen des Feindes zu identifizieren, um einen Präventivschlag zu planen".
Prigoschin wollte Gerassimow festnahmen lassen
Gerassimow ist neben Verteidigungsminister Sergei Schoigu einer der Erzfeinde von Prigoschin. In mehreren Sprachnachrichten hatte der Söldner-Führer den führenden Generälen im Ukraine-Krieg Unvermögen vorgeworfen. Zudem gibt es Berichte darüber, dass Prigoschin plante, Schoigu und Gerassimow vor dem Putsch festnehmen zu lassen.
Gerassimow war zuletzt auch bei anderen Beobachtern nicht unumstritten. Viele der nationalistischen Militärblogger, die die Kriegsführung kritisieren dürfen, machten Gerassimow dafür verantwortlich, dass es dem Militär nicht gelungen ist, seinen viel kleineren Nachbarn zu unterwerfen. Und das, obwohl das Militär in den vergangenen 15 Jahren angeblich kostspielig modernisiert wurde.
Kritiker im Westen und sogar innerhalb Russlands erklären, die Armee sei naiv gewesen, schlecht ausgerüstet, träge und leide unter chaotischen Kommandostrukturen. Nachdem es trotz der Teilmobilmachung im vergangenen Jahr nicht gelungen ist, die Fähigkeiten des russischen Militärs ausreichend zu stärken, kursierten monatelang Gerüchte, dass Gerassimow ins Abseits gedrängt werden würde. Befördert wurden die Spekulationen dadurch, dass er für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar ist.
Experten vermuten Verstimmungen im Kreml
Bei Manövern im Fernen Osten Russlands im September veröffentlichte der Militärinformationsdienst Swesda ein Video, in dem Putin und Gerassimow weit voneinander entfernt in einer Beobachtungskabine zu sehen sind. Es herrscht peinliche Stille, während sie auf Schoigus Ankunft warteten.
US-amerikanische Kriegsexperten des Institute for the Study of War (ISW) vermuten, dass in Russland nun händeringend nach Kompromissen gesucht wird, um der weitverbreiteten Unzufriedenheit mit der Militärführung Rechnung zu tragen.