Aus der abgeschotteten Küstenzone flogen in der Nacht auf Mittwoch erstmals seit Mai wieder Raketen Richtung Israel, die laut Streitkräften abgefangen und mit Luftangriffen erwidert wurden. Zuvor war der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern durch einen Anschlag in Tel Aviv zusätzlich befeuert worden.
Israels Armee war am Montag nach vorbereitenden Luftangriffen mit rund tausend Soldatinnen und Soldaten in der Stadt Jenin eingerückt. Dort lieferten sie sich heftige Schusswechsel mit bewaffneten Palästinensern. Die Militäroperation - eine der größten im Westjordanland seit Jahrzehnten - hatte laut Armee zum Ziel, "terroristische Infrastruktur" in der Hochburg militanter Islamisten zu zerschlagen. Mindestens zwölf Palästinenser wurden getötet und mehr als 100 verletzt. Nach Angaben des Militärs soll es sich bei den Toten um bewaffnete Kämpfer gehandelt haben. Außerdem seien Kommandozentralen, Waffenlager und Waffenproduktionsstätten zerstört sowie 30 Verdächtige festgenommen worden.
Ein Drittel lebt in einem Flüchtlingslager
Am späten Dienstagabend begann die Armee dann mit dem Abzug aus dem dicht besiedelten Gebiet, wo rund 50.000 Menschen leben - ein Drittel davon in einem Flüchtlingslager, das die Armee wie ganz Jenin als Rückzugsgebiet für palästinensische "Terroristen" betrachtet. Als bereits erste Soldaten die Stadt verließen, kam es palästinensischen Berichten zufolge zu heftigen Feuergefechten zwischen der Armee und bewaffneten Bewohnern sowie zu mehreren Explosionen. Nach Angaben des Militärs wurde ein Soldat im Kampf getötet.
Wenige Stunden später heulten dann Sirenen in Israel: Raketenalarm. Aus dem Gazastreifen seien fünf Geschosse auf das israelische Grenzgebiet abgefeuert worden, teilte das Militär in der Nacht mit. Die Flugabwehr habe aber alle Raketen abfangen können. In der Region waren mehrere Explosionen zu hören, ausgelöst vermutlich durch das Raketenabwehrsystem Iron Dome. Zu den Angriffen bekannte sich zunächst niemand.
Kurz darauf flogen israelische Kampfjets dann Luftangriffe auf den Gazastreifen, bei denen nach Armeeangaben eine unterirdische Waffenproduktionsstätte sowie eine Raketenfertigung der Hamas getroffen wurden. Die extremistische Palästinenserorganisation herrscht seit ihrer gewaltsamen Machtübernahme 2007 im Gazastreifen und spricht dem Staat Israel das Existenzrecht ab. In dem streng abgeriegelten Küstengebiet leben mehr als zwei Millionen Menschen unter sehr schlechten Bedingungen.
Hamas und IS, finanziert vom Iran
So wie der Gazastreifen gelten auch die Region um Jenin und das dortige Flüchtlingslager mit rund 17.000 Einwohnern seit Jahren als Keimzelle für militante Palästinenser. Neben der Hamas haben dort auch der Islamische Jihad sowie weitere lose Extremistengruppierungen an Einfluss gewonnen. Finanziert werden sie größtenteils vom Iran, Israels Erzfeind.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Dienstagnachmittag zwar ein baldiges Ende des Einsatzes in Jenin angedeutet. Zugleich machte er aber deutlich, die Aktion sei "kein einmaliger Vorgang, wir werden so lange wie nötig weitermachen". Verteidigungsminister Joav Galant sagte, Jenin sei in den vergangenen zwei Jahren zu einer Brutstätte für Terrorismus geworden - das sei nun vorbei. In den vergangenen Jahren hatten mehrere Bewohner der Stadt Anschläge auf Israelis verübt.
Erst am Dienstag verletzte ein palästinensischer Angreifer bei einem Anschlag in Tel Aviv mindestens sieben Menschen. Er war an einer Bushaltestelle in eine Fußgängergruppe gerast und hatte anschließend auf sie eingestochen. Israelischen Medienberichten zufolge soll eine der Verletzten ihr ungeborenes Kind nach dem Angriff verloren haben. Die Hamas sprach nach der Attacke von einer "ersten Reaktion" auf die Geschehnisse in Jenin. Demnach war der Angreifer ein Mitglied der Palästinenserorganisation.
Keine Lösung in Sicht
Experten bezweifeln, dass die jüngste Militäroperation im Westjordanland zu einer dauerhaften Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts beitragen kann - und zu befürchten ist womöglich gar das Gegenteil. Der Einsatz könne zwar helfen, Anschläge zu vereiteln und einzelne Kämpfer auszuschalten, sagte Tamir Hajman, Leiter des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien an der Universität Tel Aviv. "Aber nur die politische Aktion wird langfristig für Stabilität sorgen."
Die Sicherheitslage in Israel und im Westjordanland mit seinen rund drei Millionen Einwohnern ist seit langem angespannt. Die von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig kritisierte Siedlungspolitik der Regierung Netanjahus, in der auch jüdische Nationalisten und Rechtsextreme am Kabinettstisch sitzen, hat die Gräben weiter vertieft. Seit Beginn des Jahres kamen zwei Dutzend Menschen bei Anschlägen von Palästinensern ums Leben. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 150 Palästinenser bei gewaltsamen Zusammenstößen, israelischen Militäreinsätzen oder nach eigenen Anschlägen erschossen.
Israel hatte das Westjordanland und Ost-Jerusalem während des Sechstagekriegs 1967 erobert. Die Palästinenser beanspruchen beide Gebiete als Teil eines eigenen Staats. Eine Zweistaatenlösung für den seit Jahrzehnten währenden Nahost-Konflikt scheint jedoch in weiter Ferne. Seit 2014 hat es keine ernsthaften Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern gegeben.