Es sollte der Beginn eines neuen Kapitels der deutsch-französischen Freundschaft werden: Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron ab Sonntag zu einem dreitägigen Staatsbesuch in Deutschland eingeladen. Doch am Samstag sah sich Macron gezwungen, wegen der seit Tagen andauernden schweren Unruhen in Frankreich kurzfristig abzusagen.
Offiziell ist der Staatsbesuch nur verschoben, aber vorerst steht kein neues Datum fest. Macron hätte es sich politisch kaum leisten können, beim Staatsbankett im Garten vom Schloss Bellevue fein zu speisen oder mit Bundeskanzler Olaf Scholz über die Spree zu schippern, während in der Heimat Rathäuser, Schulen und Polizeiwachen brennen.
Die Absage dürfte Macron um so peinlicher sein, als er im Frühjahr bereits den Staatsbesuch des britischen Königs Charles III. verschieben musste. Auch damals gab es gewalttätige Ausschreitungen im Land, seinerzeit gegen die umstrittene Rentenreform.
Jugendlicher von Polizist erschossen
Dieses Mal war der Tod eines von einem Polizisten erschossenen 17-jährigen Auslöser der Unruhen. Es war der Funke an der Zündschnur, seither spielen sich in Frankreich allnächtlich haarsträubende Szenen ab, die bei vielen Franzosen Erinnerungen an die Vorstadt-Unruhen des Jahres 2005 aufkommen lassen.
"Die Verschiebung des Staatsbesuchs hat nichts mit dem Zustand der deutsch-französischen Beziehungen zu tun", betont Christophe Arend, Büroleiter der deutsch-französischen Kulturbevollmächtigten Anke Rehlinger. Das war im vergangenen Herbst nicht der Fall, als der gemeinsame Ministerrat verschoben wurde, weil es bei mehreren Themen keine Fortschritte gab.
In Paris wird die Bedeutung der Absage heruntergespielt. Der Staatsbesuch hätte vor allem symbolischen Charakter gehabt, es habe keinen politischen Anlass gegeben, heißt es dort. Macron und Scholz sähen sich ohnehin regelmäßig, zuletzt beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel.
Frühere Abreise wegen der Krawalle
Auch dort musste Macron wegen der Lage in Frankreich früher abreisen. Unabhängig von dem verschobenen Staatsbesuch belastet die Situation in Frankreich letztlich doch die deutsch-französischen Beziehungen.
"In Deutschland wächst die Sorge um die Handlungsfähigkeit des Präsidenten", sagt Yann Wernert, Politikwissenschaftler beim Jacques Delors Centre in Berlin. Es stelle sich zunehmend die Frage, wie stark der Partner sei, mit dem Berlin gemeinsam Politik mache.
Keine Feier der Freudschaft
Auf deutscher Seite war der Staatsbesuch vor allem als Gelegenheit beschrieben worden, die alltäglich gewordene deutsch-französische Freundschaft mal wieder gebührend zu feiern. In Macrons Umgebung war davon die Rede, dass es nötig sei, "den Blick zu heben".
In den Augen von Kritikern hätte der Besuch übertünchen sollen, dass es in den vergangenen Monaten zahlreiche deutsch-französische Spannungen gab - vom Dauerkonflikt um die Atomkraft über die gemeinsamen Rüstungsvorhaben, zu denen ein Luftkampfsystem und ein Kampfpanzer zählen, bis hin zum Aufbau einer europäischen Raketenabwehr, bei der die Vorstellungen beider Länder weit auseinander liegen.
Im besten Fall hätte Macrons Deutschland-Reise aber auch dazu beitragen können, das gegenseitige Verständnis zu vertiefen und den Beziehungen neuen Schwung zu verleihen. Macron wollte als erster französischer Präsident auch nach Ostdeutschland reisen und vor der Frauenkirche in Dresden eine Rede halten.
Eine verpasste Gelegenheit. Aber nach der Sommerpause steht bereits der nächste Termin für die deutsch-französische Paartherapie an: Im Oktober sollen die Regierungen beider Länder sich zu einer zweitägigen Klausurtagung treffen - ein neues Format, bei dem beide Seiten sich auch informell näherkommen sollen.
Von Ulrike Koltermann/AFP