Nach Berichten über eine Festnahme des russischen Topgenerals Sergej Surowikin hat das Präsidialamt in Moskau eine Stellungnahme zu dessen Schicksal abgelehnt. Auf die Frage, ob er für Klarheit sorgen könne, antwortete Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag: "Nein, leider nicht." Er verwies lediglich auf das Verteidigungsministerium. Laut US-Medien war Surowikin in die Aufstandspläne von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin eingeweiht und wurde seit Samstag nicht mehr gesehen.

Seit der Rebellion vermisst

Surowikin ist der stellvertretende Kommandeur des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine und wird in der Presse wegen seines martialischen Vorgehens im Syrien-Krieg "General Armageddon" genannt. Ausweichend antwortete Peskow auch auf die Frage, ob Präsident Wladimir Putin Surowikin noch immer vertraue. "Er ist der Oberbefehlshaber und arbeitet mit dem Verteidigungsminister und dem Generalstabschef zusammen." Fragen zu strukturellen Einheiten innerhalb des Verteidigungsministeriums sollten an dieses gerichtet werden.

Surowikin wurde seit Samstag, als die Wagner-Söldner ihre kurze Rebellion beendeten, nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. An diesem Tag wurde ein Video veröffentlicht, in dem er an Söldnerchef Jewgeni Prigoschin appellierte, die Meuterei zu stoppen. Surowikin hatte in diesem Video erschöpft gewirkt. Es war zudem unklar, ob er unter Zwang sprach. Am Mittwochabend gab es unbestätigte Berichte russischer Medien und Blogger, Surowikin werde nach seiner Festnahme im Moskauer Internierungslager Lefortowo festgehalten und verhört.

Beteiligung am Putsch vermutet

Der "New York Times" zufolge soll Surowikin vorab über den Aufstand informiert gewesen sein. Unter Berufung auf US-Regierungskreise berichtete das Blatt, die Regierung in Washington versuche herauszufinden, ob Surowikin Prigoschin bei der Planung der Rebellion geholfen habe. Zudem gebe es laut US-Geheimdienstinformationen Anzeichen dafür, dass auch andere Generäle den Söldnerchef unterstützt haben könnten. Peskow hatte den Bericht als Spekulation bezeichnet.

Bei Rybar, einem einflussreichen und von einem ehemaligen Pressesprecher des russischen Verteidigungsministeriums betriebenen Telegram-Kanal hieß es, eine Säuberung sei im Gange. Danach versuchten die Behörden, diejenigen Militärangehörigen auszusondern, die angeblich "einen Mangel an Entschlossenheit" bei der Niederschlagung der Rebellion gezeigt hätten. Berichten zufolge hätten Teile der Streitkräfte wenig unternommen, um die Söldner aufzuhalten. "Der bewaffnete Aufstand des privaten Militärunternehmens Wagner ist zum Vorwand für eine massive Säuberung der russischen Streitkräfte geworden", hieß es bei Rybar.

Einfluss auf den Ukraine-Krieg

Sollte sich dies bestätigen, könnte das die russische Kriegsführung in der Ukraine verändern und zu Unruhen in den eigenen Reihen führen – und das, während Russland versucht, eine ukrainische Gegenoffensive zu vereiteln. Auch für die Machtverhältnisse innerhalb der Sicherheitskräfte hätte das Konsequenzen: Wer als loyal gilt, kann seine Position festigen oder gar verbessern.

Das könnte auch für Schoigu gelten, der seit 2012 Verteidigungsminister ist und den der Söldnerchef Prigoschin samt seinem Generalstabschef Gerassimow wegen Inkompetenz stürzen wollte. Nun könnte der langjährige Vertraute Putins tatsächlich fester im Sattel sitzen als zuvor. Prigoschin habe vermutlich erwartet, dass etwas gegen Schoigu und Gerassimow unternommen werde, dass Putin zu seinen Gunsten handeln werde, schreibt Michael Kofman, Spezialist für das russische Militär beim Expertenforum Carnegie Endowment, auf Twitter. "Stattdessen könnte seine Meuterei dafür gesorgt haben, dass sie weiterhin im Amt bleiben, obwohl sie allgemein als inkompetent anerkannt und in den Streitkräften der Russischen Föderation weithin verabscheut werden."

Viktor Solotow als Nutznießer

Ein weiterer Nutznießer könnte Viktor Solotow sein, Chef der Nationalgarde und einst Putins Leibwächter. Er hat öffentlich erklärt hatte, seine Männer seien bereit, bis zum Tod Moskau gegen die anrückenden Wagner-Söldner zu verteidigen. Er hat von der Möglichkeit gesprochen, nach der Meuterei schwere Waffen und Panzer für seine Streitkräfte zu beschaffen. Die leicht bewaffnete Nationalgarde ist die Truppe des Innenministeriums und direkt Putin unterstellt.

Anders scheint es im Fall Gerassimows zu sein. Als Putin am Dienstag der Armee dankte, dass sie einen Bürgerkrieg abgewendet habe, war der Generalstabschef nicht zu sehen – im Gegensatz zu Schoigu. Gerassimow wurde 2012 von Putin zum Generalstabschef und Vize-Verteidigungsminister ernannt – drei Tage nach der Kür Schoigus zum Verteidigungsminister. Im Januar machte dieser Gerassimow zum Kommandeur der kombinierten Streitkräfte in dem von Russland sogenannten militärischen Sondereinsatz in der Ukraine. Gerassimow übernahm die Funktion von Surowikin, der diesen Posten erst im Oktober erhalten hatte. Surowikin wurde Gerassimows Stellvertreter.