Die EU-Staats- und Regierungschefs stellen sich auf eine langfristige Unterstützung der Ukraine ein. Künftige Sicherheitszusagen seitens der Europäischen Union an die Ukraine haben beim EU-Gipfel in Brüssel die Neutralen auf den Plan gerufen. Österreich, Irland, Malta und Zypern beharren auf ihrer Neutralität. "Für uns als neutrale Staaten ist es klar, dass es die nicht geben kann", sagte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) Donnerstag zu Sicherheitsgarantien für Kiew.
Borell: "Ein schwacher Putin ist eine noch größere Gefahr"
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, diese Sicherheitszusagen zielten auf eine langfristige militärische Unterstützung der EU für die Ukraine. Borrell sieht den russischen Präsidenten Wladimir Putin durch den Aufstand der Wagner-Gruppe geschwächt, "aber ein schwacher Putin ist eine noch größere Gefahr".
Man brauche eine Strategie, die Ukraine bei ihrem Kampf für Unabhängigkeit und Stabilität zu unterstützen, sagte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Eintreffen. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass es lange dauern kann."
Dabei sei die Lage in Russland nach den jüngsten Ereignissen um die Wagner-Truppe klar vom Krieg in der Ukraine zu trennen. "Unser Ziel ist kein Regierungswechsel in Russland, sondern eine unabhängige Ukraine", sagte Scholz. Bei den innerrussischen Ereignissen sei man nur in einer Beobachterrolle, die man aber sehr genau wahrnehme. Gleichzeitig halte er es aber auch für wichtig, dass man im Vorfeld des Nato-Gipfels mit Generalsekretär Jens Stoltenberg diskutieren könne.
Lettland will Ukraine in der Nato
Stoltenberg betonte, die Tür für den Nato-Beitritt steht offen. "Wir sind uns auch einig, dass Ukraine ein Mitglied des Militärbündnis wird", sagte Stoltenberg vor dem Gipfel. Im Moment sei es aber wichtig und dringend, die Ukraine zu unterstützen, "um sicherzustellen, dass die Ukraine ein unabhängiger, souveräner Staat in Europa bleibt. Wenn wir das nicht schaffen, können wir auch über keine Nato-Mitgliedschaft reden", so Stoltenberg.
Der Nato-Generalsekretär sieht zudem nach der Revolte der Söldnertruppe Wagner "Risse" im russischen System. Es sei aber noch nicht klar, was genau mit den Wagner-Söldnern passiere, sagte Stoltenberg.
Der lettische Ministerpräsident Krišjānis Kariņš sagte, die beste Sicherheitsgarantie für die Ukraine wäre es, das Land in die Nato aufzunehmen, sobald der Krieg vorbei ist. Dies sollte beim Nato-Gipfel in Vilnius beschlossen werden. Karins forderte auch weitere Schritte zur EU-Erweiterung um die Ukraine, um Russland zu zeigen, dass es "keine Grauzone" gebe.
Litauen zeigt sich besorgt
Ähnlich äußerte sich auf die estnische Regierungschefin Kaja Kallas. "Die einzige und billigste Sicherheitsgarantie ist die Nato", sagte Kallas in Bezug auf die Ukraine. Allerdings sei das kein europäisches Thema, sondern eines der Nato.
Der litauische Präsident Gitanas Nausėda zeigte sich extrem besorgt über die jüngsten Ereignisse in Russland und betonte gleichzeitig, dass sich die Ukraine positive Signale bezüglich ihrer Aufnahmebestrebungen verdient hätte. "Ich denke, Dezember wäre ein guter Zeitpunkt für den Beginn offizieller Aufnahmegespräche", sagte Nauseda vor dem EU-Gipfel.
Die Neutralen haben in den Gipfelentwurf eine Passage hineinreklamiert, der die "vollständige Achtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten" betont – ein Hinweis auf den Status der Neutralen, hieß es in EU-Ratskreisen. Auch Zypern gehört zwar der EU, aber nicht der Nato an, während alle anderen EU-Mitgliedstaaten auch zu dem westlichen Verteidigungsbündnis gehören.
EU bereitet sich auf lange Hilfe vor
Bundeskanzler Nehammer erklärte am Mittwoch im EU-Hauptausschuss des Parlaments, dass er bei den militärischen Beschlüssen für die Ukraine eine explizite Berücksichtigung der österreichischen Neutralität in die Gipfelschlussfolgerungen hineinreklamiert habe. Der EU-Gipfel will laut dem Gipfelentwurf die Bereitschaft der EU bekräftigen, "eine tragfähige Militärhilfe an die Ukraine zu leisten, solange es nötig ist". Ebenso will die EU weiter starke finanzielle, wirtschaftliche und humanitäre Hilfe an Kiew leisten.
Die Sicherheitszusagen gegenüber Kiew werden zum jetzigen Zeitpunkt nicht näher definiert. In dem Entwurf der Gipfelerklärung heißt es: "Die Europäische Union und die Mitgliedstaaten sind bereit, zusammen mit Partnern zu den künftigen Sicherheitszusagen an die Ukraine beizutragen, die der Ukraine helfen werden, sich langfristig zu verteidigen, Akte der Aggression zu verhindern und Destabilisierungsbemühungen zu widerstehen." Die Art und Weise dieser Beiträge soll schnell geprüft werden. Dem Vernehmen nach hat sich Frankreich für solche Sicherheitszusagen eingesetzt.
Die Ukraine strebt vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieg einen Nato-Beitritt an. Die Nato will der Ukraine bei ihrem Gipfeltreffen in Litauen im Juli aber keine Beitrittseinladung aussprechen, wie von Präsident Wolodymyr Selenskyj erhofft. Stattdessen soll ein neuer Nato-Ukraine-Rat eingerichtet werden, der in Vilnius mit Selenskyj zum ersten Mal tagen soll.