Inmitten der ukrainischen Gegenoffensive hat der Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag überraschend Frontgebiete in der östlichen, teilweise von Russland besetzten Region Donezk besucht. Nach Angaben seines Büros traf er dort unter anderem Militäreinheiten, die an den schweren Kämpfen um die Stadt Bachmut beteiligt waren, sowie Soldaten und Offiziere der Einheit Chortizija, die an der östlichen ukrainischen Front gegen russische Truppen in der Donbass-Region vorgeht.
Während des formelleren Teils seines Besuchs überreichte Selenskyj Medaillen an die Soldaten. Zudem wurde er vom Befehlshaber der ukrainischen Bodentruppen, Oleksandr Syrskyj, über die aktuelle Lage informiert. "Ich möchte Ihnen danken, Sie alle auszeichnen und Ihnen, Ihren Familien und Verwandten mit großer Dankbarkeit die Hand schütteln", sagte der ukrainische Präsident an die Soldaten gewandt. "Die Ukraine ist stolz auf jeden von euch", sagte er.
Auf Fotos in seinem Telegram-Kanal war Selenskyj jedoch auch in entspannterer Atmosphäre zu sehen, wie er an einer Tankstelle Kaffee trinkt und Selfies mit Soldaten und Personal macht. Im Gegensatz zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, der nur selten öffentlich in Erscheinung tritt, besucht Selenskyj regelmäßig die ukrainischen Soldaten an der Front.
Anfang Juni startete die Ukraine eine Gegenoffensive zur Rückeroberung der von Moskau besetzten Gebiete im Osten und Süden des Landes. Dabei hat Kiew nach eigenen Angaben bisher etwa zehn Ortschaften zurückerobert, viele von ihnen in der Region Donezk.
EU stockt militärische Mittel für Ukraine auf
Die EU stockt die Finanzmittel für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die Ukraine und andere Partnerländer um weitere 3,5 Milliarden Euro auf. Eine entsprechende Entscheidung trafen am Montag die Außenminister der Mitgliedstaaten bei einem Treffen in Luxemburg, wie eine EU-Sprecherin mitteilte. Sie sei ein klares politisches Signal für das anhaltende Engagement der EU für die militärische Unterstützung der Ukraine und andere Partner.
Zwölf Milliarden Euro als Obergrenze
Konkret wurde mit der Entscheidung vom Montag die finanzielle Obergrenze für die sogenannte Europäische Friedensfazilität auf rund zwölf Milliarden Euro erhöht. Dieses EU-Finanzierungsinstrument war bereits vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs zur militärischen Unterstützung von Partnerländern geschaffen worden und ursprünglich für den Zeitraum 2021–2027 nur mit rund fünf Milliarden Euro ausgestattet gewesen. Wegen des unerwarteten russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine reichen diese Mittel aber bei Weitem nicht aus. Allein für Hilfen für die ukrainischen Streitkräfte wurden so bis zuletzt bereits rund 5,6 Milliarden Euro freigegeben. Neben der Ukraine profitieren Länder wie Bosnien-Herzegowina, Georgien, Libanon und Mauretanien von dem Geld.
Dominiert wurde das Treffen der EU-Außenminister am Montag vom bewaffneten Aufstand am Wochenende in Russland. Zum Verbleib des russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin habe er keine konkreten Informationen, erklärte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) vor dem Treffen. Es "ist nicht schlecht, wenn er von der Bildfläche verschwindet. Putin (Russlands Präsident Wladimir, Anm.) sollte sich ein Vorbild an Prigoschin nehmen und auch umkehren", so Schallenberg.
"Man hat fast ungläubig zugeschaut, wie ein größenwahnsinniger Söldnerführer seine Truppen in Bewegung setzt und es bis auf 200 km vor Moskau schafft", kommentierte der Außenminister und ortete "Risse im Machtgefüge" in Russland. Ziel der EU müsse es weiterhin sein, die Ukraine weiter zu unterstützen und geschlossen zu bleiben. "Das ist unser größter Trumpf. Das Beste, was wir tun können, ist, die Ukraine zu unterstützen. Wir sollten nicht weiter Öl ins Feuer gießen. Da soll der russische Präsident im eigenen Saft brutzeln", betonte der Außenminister in einem Interview mit dem Deutschlandfunk in der Früh.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sieht den russischen Präsidenten durch die Revolte der Wagner-Söldner massiv geschwächt: "Das, was dieses Wochenende in Russland passiert ist, zeigt, dass der Krieg gegen die Ukraine die Militärmacht Russlands spaltet und das politische System beeinflusst. Ich denke, dass es wichtiger denn je ist, die Ukraine zu unterstützen. Und das werden wir tun." Es sei nicht gut, wenn eine Atommacht wie Russland in eine Phase politischer Instabilität gerate. "Das Monster, das Putin mit Wagner geschaffen hat, beißt ihn nun", fügte Borrell hinzu.
"Haben wir so nicht erwartet"
Der österreichische Vorsitzende des EU-Militärausschusses, Robert Brieger, erklärte in Luxemburg, die Situation habe sich zwar über Wochen zugespitzt. Aber "die Ereignisse vom Wochenende haben wir so nicht erwartet". Für die Europäische Union sei klar: "Wir müssen auf derartige Ereignisse in Zukunft vorbereitet bleiben." Die EU sei mit ihrer Absicht, die Resilienz und strategische Autonomie zu verstärken, auf einem guten Weg.
Am Freitagabend war der seit Langem schwelende Machtkampf zwischen dem russischen Söldnerführer Jewgeni Prigoschin und der russischen Militärführung eskaliert. Kämpfer der Wagner-Truppe marschierten von der Ukraine aus mit dem Ziel nach Russland ein, die Militärführung in Moskau zu stürzen. Nach rund 24 Stunden Aufstand vollzog Prigoschin am Samstagabend überraschend eine Wende und beorderte seine Söldner zurück in ihre Lager. Vorangegangen war dem eine Vereinbarung mit der russischen Führung, vermittelt durch Belarus.