Manchmal wechseln die Waffenbrüder böse Worte. "Hör auf, zu schwätzen und zu schreien, nenn' einen Ort und wir werden Auge in Auge jedes Problem lösen", erklärte Adam Delimchanow, Vertrauter von Tschetschenen-Chef Ramsan Kadyrow, kürzlich Jewgenij Prigoschin. "Wir wissen alle, wie viel Leute du bei Bachmut verheizt hast." Delimchanow selbst ist Duma-Abgeordneter und "Freiwillige" der Spezialeinheit "Achmat", eines von vier tschetschenischen Bataillonen, die in der Ukraine kämpfen.

Zuvor hatte Kadyrow einen Großangriff seiner Bergkrieger im Donezker Raum angekündigt, Prigoschin aber öffentlich angezweifelt, es könne den Tschetschenen gelingen, die gesamte "Volksrepublik Donezk" freizukämpfen. 

Innenpolitische Ziele?

Inzwischen hat man sich öffentlich ausgesöhnt, Delimchanow jedoch soll bei Mariupol unter Beschuss geraten sein. Seit Tagen ist unklar, ob er tot ist, verletzt oder kerngesund. Die Umgangsformen zwischen Russlands Söldnerführern erinnern wieder an Gangster in den wilden Neunzigern. Und angesichts der wachsenden Zahl von Privatkorps, die auf den ukrainischen Schlachtfeldern unterwegs sind, fragen sich Beobachter, welche innenpolitischen Hintergedanken ihre Bosse hegen. "Kadyrow und Prigoschin wollen ihre eigene Armee besitzen, wenn Russland zerfällt", vermutet der US-General a.D. Ben Hodges gegenüber dem ukrainischen TV-Sender 24Kanal. Droht gar ein Krieg der Söldnertruppen in Russland, wo Söldnertum auf dem Papier verboten ist?

Prigoschins Wagner-Truppe ist nicht alleine

Die berühmteste und wohl auch kampfkräftigste Truppe ist die "Privatkriegsgesellschaft (russisch kurz TschWK) Wagner". Bis zu 80.000 Mann sollen während der Schlacht um Bachmut unter Prigoschins wortgewaltigen Kommando gestanden haben. Der gelernte Restaurant-Unternehmer und Putin-Intimus hat sich mit überlauten Siegesmeldungen und Verbalattacken auf das Verteidigungsministerium als politischer Rechtsaußen profiliert. Und er bezeichnet Wagner als "beste Armee der Welt".

Allerdings hat seine TschWK nach schweren Verlusten in Bachmut die Front verlassen. Es wird vermutet, nur noch 20.000 Söldner seien einsatzfähig. Prigoschin aber fordert, Wagner auf 200.000 Mann aufzustocken, womit er der regulären Armee von Verteidigungsminister Sergei Schoigu das außenpolitische Gewaltmonopol endgültig streitig machen würde.

"TikTok-Krieger"

Kein Wunder, dass sich die tschetschenische Konkurrenz ärgert. Auch deren Häuptling Kadyrow rühmt lautstark die Taten seiner insgesamt etwa 20.000 Mann, 7000 davon sollen in der Ukraine kämpfen. Aber im Gegensatz zu Prigoschin, der zwischenzeitlich Häftlinge aus Straflagern in ganz Russland rekrutierte, betrachtet Kadyrow seine Kämpfer als nationale Hausmacht. Und Militärpatrioten bezeichnen die Achmat-Bataillone schon als "TikTok-Krieger", weil der Tschetschenenchef seine Stammesbrüder nur ungern ganz nach vorn schickt. 

Es gibt in der Ukraine stillere russische Freikorps. Etwa die "TschWK Redut", laut der Financial Times eine 7000-Kopf-Einheit. Sie wird angeblich von Putins engem Freund Gennadij Timtschenko finanziert und bewachte früher in Syrien dessen Phosphat-Förderstätten. Oder das Bataillon "Ural", die Moskau Times schreibt, Igor Altuschkin, ein anderer Dollarmilliardär, habe es formiert. Aber Altuschkins Pressedienst dementiert jede Verbindung mit dem Bataillon. Auch Timtschenko schweigt sich zu Redut aus, deren Söldner von FSB- und GRU-Geheimdienstoffizieren befehligt werden sollen. Offenbar hegen beide als Militärinvestoren keine politischen Ambitionen, außer Putin ihre kriegspatriotische Loyalität zu zeigen.

Auch Gasprom involviert

Auch Russlands größter Staatskonzern Gasprom soll Anfang des Jahres mit dem Aufbau von sogar drei Söldnertruppen begonnen haben: "Potok" (wie Stream), "Fakel" und "Plamja" (Flamme). Wie viele Bajonette sie zählen, ist unklar, zumindest Potok hat schon bei Bachmut mitgekämpft. Aber es wird vermutet, dass der Konzern die Einheiten, in denen angeblich vor allem Wachleute, aber kaum Ingenieure dienen, vor allem formiert hat, um selbst zu kontrollieren, welche Mitarbeiter an die Front gehen. Und Gasprom scheint keine Unsummen in Potok zu investieren. Im April wandten sich mehrere Kämpfer in einem Video an Putin und klagten über mangelhafte Ausrüstung und Versorgung.

Als innenpolitischen Machtfaktor betrachtet man diese Truppen bei Gasprom sicher nicht. Und laut BBC wird Potok im Feld aus der TschWK Redut befehligt, die wiederum dem Verteidigungsministerium unterstellt ist. Der gleichen Kommandokette gehorchen auch andere Korps, wie die Kosakenbrigade "Don" oder die "Union der Freiwilligen des Donbass". Unklar, welche Truppe wirklich als selbständige Einheit kämpft. "Manche scheinen nur auf dem Papier zu existieren", sagt der Politologe Jurij Korgonjuk. Jedenfalls fehlen den meisten medienpräsente Kommandeure mit politischem Ehrgeiz. Stattdessen gibt es Klagen aus der Truppe, die versprochenen Prämien für Verwundungen oder Tod würden nicht herausgegeben. "Don legt die Leute auch rein", sagt der Söldner Maxim gegenüber Radio Swoboda. "Sie zahlen nicht mal Begräbnisgelder." Vieles spricht dafür, dass ein Teil der Verbände nur aufgestellt wurde, damit weniger Freiwillige als reguläre Zeitsoldaten der Armee beitreten. Sie alle erhalten Monatssolde ab etwa 2200 Euro, können aber bei der Armee finanzielle Ansprüche leichter einklagen …

Zwei haben möglicherweise andere Absichten als Geld

Von Wagner- oder Achmat-Kämpfern hört man kaum Beschwerden. Zumindest Prigoschin oder Kadyrow denken zurzeit wohl mehr an Politik als an die eigene Tasche. Aber Kadyrow gibt sich seit längerem betont linientreu. Und seine Elitetruppe Achmat folgte prompt einem Befehl des Verteidigungsministeriums an alle "Freiwilligeneinheiten", sich per Vertrag dem Ministerium zu unterstellen. Obwohl die Tschetschenen als Teil der Nationalgarde schon lange vorher regulär waren. Prigoschin aber verkündete wiederholt, man werde den Vertrag nicht unterschreiben. "Kein Kämpfer der TschWK Wagner ist bereit, den Pfad der Schande zu gehen."

Politologe Korgonjuk glaubt, bis auf Weiteres kämpften Prigoschin und Kadyrow ebenso wie Minister Schoigu ausschließlich um die Gunst des Staatschefs. "Erst wenn es Putin nicht mehr gibt, könnte es sein, dass ihre Privattruppen aufeinander losgehen."