Die Zahl der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden oder vertrieben wurden, ist im vergangenen Jahr erneut rasant angestiegen. Ende 2022 gab es 108,4 Millionen Menschen, die durch Krieg, Verfolgung, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen vertrieben wurden, wie ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) zeigt. Das UNHCR fordert sofortige gemeinsame Maßnahmen gegen die Ursachen und Auswirkungen von Vertreibung.
Ende 2021 zählte das UNHCR knapp 90 Millionen Vertriebene - auch das war bereits ein Rekord. Größter Treiber im vergangenen Jahr war der Krieg in der Ukraine. Die Zahl der Flüchtlinge aus dem Land stieg innerhalb eines Jahres von 27.300 auf 5,7 Millionen Ende 2022 - die schnellste Entwicklung einer Flüchtlingssituation seit dem Zweiten Weltkrieg, erklärte das Flüchtlingshochkommissariat im Bericht "Global Trends in Forced Displacement 2022", der jährlich anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni vorgelegt wird.
50 Prozent Binnenvertriebene
Mehr als die Hälfte - 62,5 Millionen bzw. 58 Prozent - der Geflüchteten und Vertriebenen sind Binnenvertriebene, also Vertriebene im eigenen Land (Internally Displaced People/IDP). 35,3 Millionen waren Flüchtlinge, also Menschen, die eine internationale Grenze überquert haben, um Sicherheit zu finden. Hinzu kommen 5,4 Millionen Menschen, die als Asylsuchende registriert wurden und 5,2 Millionen andere Menschen, die auf internationalen Schutz angewiesen sind.
"Diese Zahlen zeigen uns, dass manche Personen viel zu schnell einen Konflikt beginnen und viel zu langsam sind, um Lösungen zu finden. Die Folgen sind Verwüstung, Vertreibung und Leid für jeden einzelnen der Millionen Menschen, die gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben wurden", sagte UNO-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi.
Tatsächlich zeigt der Trend bei der weltweiten Vertreibung auch in diesem Jahr keine Anzeichen einer Verlangsamung. Der Konflikt im Sudan hat neue Fluchtbewegungen ausgelöst und die Gesamtzahl der Vertriebenen damit bis Mai 2023 auf schätzungsweise 110 Millionen ansteigen lassen.
Flüchtlinge aus Afghanistan
Auch die Berechnungen für die Zahl der Flüchtlinge aus Afghanistan lagen Ende 2022 deutlich höher als ein Jahr zuvor, da die Schätzungen für die in Iran lebenden Afghaninnen und Afghanen revidiert wurden, von denen viele bereits in den Jahren zuvor angekommen waren. Auch die Zahl der in Kolumbien und Peru lebenden Venezolanerinnen und Venezolaner, die zumeist als "andere Personen, die internationalen Schutzes bedürfen" ("other people in need of international protection") eingestuft werden, wurde in dem Bericht nach oben korrigiert.
Erneut bestätigen die Zahlen des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen, dass die meisten Vertriebenen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen und nicht in den wohlhabenden Staaten Schutz gefunden haben. Obwohl auf die 46 am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries) nicht einmal 1,3 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) entfallen, haben sie mehr als 20 Prozent aller Flüchtlinge aufgenommen. Die Gelder für die zahlreichen Notsituationen und die Unterstützung der Aufnahmeländer blieben im vergangenen Jahr weit hinter dem Notwendigen zurück und fließen auch 2023 trotz steigendem Bedarf nur schleppend, kritisierte das UNHCR.
"Menschen auf der ganzen Welt zeigen weiterhin eine außergewöhnliche Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen, indem sie ihnen Schutz und Hilfe gewähren", sagte Grandi. "Aber wir brauchen viel mehr internationale Unterstützung und eine gerechtere Aufteilung der Verantwortung, gerade mit den Ländern, die die meisten Vertriebenen aufnehmen. "Vor allem muss viel mehr getan werden, um Konflikte zu beenden und Hindernisse zu beseitigen, damit Flüchtlinge die Möglichkeit haben, freiwillig, sicher und in Würde nach Hause zurückzukehren."