Der große Kühlteich des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja rückt nach dem Dammbruch am Dnipro in den Fokus der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Der Druck auf den Deich rund um den Teich steige auf der Innenseite, da an der Außenseite der Pegel des aufgestauten Flusses stark gefallen sei, so die IAEA am Freitagabend in Wien. Die Behörde – die Beobachter in dem russisch besetzten AKW stationiert hat – beobachte die Lage genau, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi.
Europas größtem Kernkraftwerk drohe zwar kurzfristig keine Gefahr, doch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms und zunehmende militärische Aktivitäten würden für "erhebliche neue Schwierigkeiten" sorgen, so Grossi. Zuvor hatte auch die Umweltorganisation Greenpeace am Freitag vor einem Bruch des Kühlteichs gewarnt.
AKW-Experte spricht ebenfalls von "Entwarnung"
Grundsätzlich ist laut IAEA in dem Teich und in anderen Bereichen des AKW genug Wasser vorhanden, um die stillgelegten Reaktoren und die abgebrannten Brennstäbe für mehrere Monate zu kühlen, selbst wenn infolge der Zerstörung des Staudamms schon bald kein Wasser mehr aus dem sinkenden Dnipro-Reservoir gepumpt werden könnte.
Der AKW-Experte Georg Steinhauser von der Technischen Universität (TU) Wien sprach in der ORF-ZiB 2 ebenfalls von einer "Entwarnung". Da die Reaktoren des AKW bereits heruntergefahren worden seien, bedürfe es aktuell auch einer "deutlich geringeren Kühlleistung". Ein Betrieb unter Volllast wäre aktuell nicht möglich, so der Experte. Die Kernspaltung sei aber unterbrochen. Dadurch mache die zu kühlende Hitze "nur ein Tausendstel dessen aus, was einmal war".
Laut Nikolaus Müllner, Experte für Reaktorsicherheit an der Wiener Universität für Bodenkultur, ist die Sicherheit des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja nach der Zerstörung des Staudamms mittelfristig in Gefahr. Die Wasserversorgung der Kühlsysteme sei für einige Monate gewährleistet. Doch angesichts der Kriegshandlungen sei es fraglich, ob dieses Zeitfenster genutzt werden könne, um alternative Wasserquellen zu erschließen, sagte der Leiter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften der dpa. "Es ist natürlich eine bedrohliche Situation", sagte Müllner.
Kernkraftwerk direkt an der Frontlinie
Unter normalen Umständen würde der Zeitraum von einigen Monaten ausreichen, um etwa Ansaugrohre im Dnipro-Reservoir tiefer zu legen, sagte Müllner. Es sei jedoch schwer einschätzbar, ob dies aktuell möglich sei, "da das Kernkraftwerk direkt an der Frontlinie liegt", sagte der Experte.
Der ukrainische Atomkonzern Enerhoatom teilte am Abend mit, vor dem Hintergrund der Entwicklungen am Kühlteich werde nun auch der Reaktor Nummer Fünf in die sogenannte Kaltabschaltung – einen sichereren Zustand – versetzt. Die übrigen Blöcke sind bereits kalt abgeschaltet.