Nach Beginn der Invasion Russlands in die Ukraine hatte der deutsche Kanzler eine "Zeitenwende" ausgerufen, dennoch warf man ihm lange Zögerlichkeit vor. Das scheint sich jetzt zu ändern. Berlin unterstützt die Ukraine nun militärisch tatkräftiger bei ihrer Verteidigung. Als Scholz dafür kürzlich bei einem SPD-Europafest von Putin-Verteidigern ausgebuht wurde, riss ihm der Geduldsfaden. Der sonst so zurückhaltende Kanzler wurde emotional, ließ sich von den Buhrufern nicht niederschreien und verurteilte Putins Angriffskrieg, dessen Kriegsverbrechen und alle, die dies unterstützen oder zulassen, mit klaren Worten. "Während ihr hier ruft: 'Frieden schaffen ohne Waffen', hat Putin unglaublich viele Panzer zusammengezogen, Raketen und Marschflugkörper auf die Ukraine gerichtet und unglaublich viele Bürgerinnen und Bürger, Kinder und Alte, in der Ukraine getötet!", rief Scholz in die Menge. Zudem lasse Putin Tausende junge Männer seines eigenen Landes für seine imperialistischen Träume sterben, sagte Scholz.
Die Buh-Rufenden, selbst nicht zimperlich in ihrer Wortwahl, warfen Scholz später vor, er habe sie beleidigt, als er sagte, "Wenn ihr irgendeinen Verstand in euren Hirnen hättet, müsstet ihr eigentlich sehen, dass Putin ein Kriegstreiber ist".
Seinen Dank für die ungewöhnlich klaren und emotionalen Worte von Olaf Scholz übermittelt Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko per Twitter. Es berühre ihn persönlich, dass Scholz so entschlossen für den Schutz der Ukrainer eintrete, so Klitschko.
Judy Dempsey, Chefredakteurin von Carnegie Europa, äußerte sich dazu wie folgt: "Putins Motiv besteht darin, die Eigenständigkeit, die Unabhängigkeit und die territoriale Integrität der Ukraine zu zerstören. Und letztlich die ganze Ukraine zu zerstören. Sehen Sie sich an, was die Milizen und die Armee mit der Kultur, mit der Infrastruktur, der Energie, den Schulen, den Krankenhäusern, den Gebäuden und mit der öffentlichen Infrastruktur machen: Das nennt man Zerstörung." Scholz hatte zuvor gesagt, dass es letztlich zu einer Vereinbarung zwischen Moskau und Kiew kommen müsse, um das Kriegsende zu ermöglichen.
Der deutsche Bundeskanzler kündigte kürzlich an, dass er zu gegebener Zeit ein Gespräch mit Wladimir Putin suchen werde. Der russische Präsident zeigte sich ebenfalls bereit für einen solchen telefonischen Austausch, der zuletzt Anfang Dezember stattgefunden hatte. Es gibt jedoch Stimmen, die die Meinung vertreten, dass jegliches Gespräch mit Putin mittlerweile sinnlos sei.
Kadri Liik vom European Council on Foreign Relations kommentierte: "Es ist in Ordnung, wenn Scholz das versucht. Sein Ansatz beruht auf der Logik, dass Putin zu diesem Zeitpunkt verstanden haben muss, dass er in diesem Krieg nicht weiterkommt, dass er feststeckt. Das ist natürlich richtig. Putin sieht es wohl nicht so, daher glaube ich nicht, dass es erfolgreich sein wird. Aber ich glaube auch nicht, dass es schädlich ist." In Bezug auf Sicherheitsfragen, die weltweite Bedeutung haben, spielen seit Kriegsbeginn vor allem die Behörden der Vereinten Nationen eine wichtige Rolle.
"Die UN-Atomenergiebehörde war sehr wichtig für die Sicherheit, auch für die Sicherheit Europas und die Verhinderung jeglicher Atomkatastrophe", erklärte Dempsey. "Und in diesem Sinne ist das eine Art von Diplomatie. Natürlich gibt es auch die Diplomatie, die sich darum bemüht, ukrainisches Getreide nicht nur nach Europa, sondern auch in den Nahen Osten und in andere Länder zu exportieren", fügte sie hinzu.