Der Schatten der kürzlich von einem Maulwurf veröffentlichten US-Geheimdienstdokumente ist lang. Die Erkenntnisse, die daraus destilliert werden können, sind breit gestreut. Sie betreffen den russischen Machtzirkel, die USA und nicht zuletzt die Ukraine.

Angriff auf Moskau?

Neueste Enthüllungen sollen nun zeigen, auf welch brüchigem Fundament die Beziehungen zwischen Kiew und Washington bisweilen stehen. So soll – wie die Washington Post berichtet – der ukrainische Militärgeheimdienst einen Angriff auf die russische Hauptstadt Moskau geplant haben. Dieser hätte am 24. Februar 2023 – also ein Jahr nachdem Wladimir Putin gewaltsam in die Ukraine einmarschiert war – stattfinden sollen. In den Geheimakten wird Kyrylo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR, zitiert.

Kyrylo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes (links)
Kyrylo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes (links) © (c) IMAGO/NurPhoto (IMAGO/Pavlo Bahmut)

Er soll hinter dem geplanten Angriff gesteckt haben und einem seiner Offiziere angeordnet haben, sich "für massive Schläge, mit allem, was wir haben" bereitzumachen. Darüber hinaus soll der Geheimdienst einen Angriff mit TNT (Sprengstoff) auf die Schwarzmeerhafenstadt Noworossijsk erwogen haben – ein symbolischer Schlag, der Russland zeigen hätte sollen, dass empfindliche Offensiven weit im Landesinneren möglich seien.

Woher die USA über diese Erkenntnisse über die geplante Operation verfügt? Washington hatte die ukrainischen Offiziellen bespitzelt. Auch, weil seit der russischen Invasion die Sorge um einen ukrainischen Vergeltungsschlag hinter der Frontlinie stetig wuchs, die USA eine Eskalation Wladimir Putins um jeden Preis vermeiden wollte. Zwei Tage vor dem Jahrestag einigten sich der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA und die ukrainischen Beamten darauf, den Schlag zu vertagen, so der Bericht.

Philipp Eder, Leiter der Abteilung Militärstrategie beim österreichischen Bundesheer
Philipp Eder, Leiter der Abteilung Militärstrategie beim österreichischen Bundesheer © kk

Der ukrainische Geheimdienstchef Budanow ist nach Einschätzung des Militärstrategen Philipp Eder kein Unbekannter. Es gebe Hinweise darauf, dass der Chef des Geheimdienstes bald in höhere Militärämter gehoben werden könnte. Angriffe auf russischem Territorium hält Eder für realistisch. Immer wieder würden abgestürzte ukrainische Drohnen, denen der Treibstoff ausgegangen war, geborgen werden. "Anders als Russland, greift die Ukraine aber militärische Ziele an, keine zivilen". Versorgungsdepots und Flugplätze wären vermutlich auch das Ziel auf Moskau gewesen, so Eder. Ein Angriff auf die Stadt hingegen wäre unwahrscheinlich.

Die Idee einer zweiten Front in Syrien

Die Intervention seitens Washington war nicht die erste ihrer Art, das zeigen die durchgesickerten Informationen aus dem Pentagon. So liegen in den geheimen Dokumenten auch Informationen vor, wonach die ukrainischen Streitkräfte russische Stellungen in Syrien angreifen wollten. 2500 Kilometer entfernt vom eigentlichen Krieg sollte eine weitere Front entstehen. Unterstützung erhoffte sich die Ukraine, wie Berichte der Washington Post zeigen, von kurdischer Seite. So sollten Kämpfer der SDF (Syrische Demokratische Kräfte) in den kurdisch kontrollierten syrischen Gebieten im Nordosten ausgebildet werden und Drohnenangriffe auf Wagner-Söldner und russische Truppen vor Ort durchführen.

Ein Ausschnitt aus den Leaks. Auf dem streng geheimen Dokument sichtbar: Eine Analyse, die die Möglichkeiten und Risiken einer militärischen Operation in Syrien auslotet
Ein Ausschnitt aus den Leaks. Auf dem streng geheimen Dokument sichtbar: Eine Analyse, die die Möglichkeiten und Risiken einer militärischen Operation in Syrien auslotet © Screenshot/Washington Post

Seit Putins militärischer Unterstützung von Machthaber Bashar Al-Assad und dessen Regime im Jahr 2015 ist das russische Militär in Syrien präsent – und stationiert dort Luftabwehrsysteme und Kampfflugzeuge. Ein Teil der Ausrüstung verlegte der Kreml nach der Invasion in die Ukraine. Eine Attacke der Ukraine in Syrien sollte Russland zwingen, Ressourcen wieder abzuziehen. "Ein Angriff wäre für die russische Führung sicherlich unangenehm gewesen", betont auch Brigadier Eder.

Der Militärstratege des Bundesheeres spricht in diesem Zusammenhang von "Eventualfallplänen": "Man überlegt sich für alle möglichen Szenarien Pläne, beurteilt Idee, ohne dabei etwas auszulösen". Ob diese Pläne – also ein Angriff auf russische Stellungen in Syrien – überhaupt jemals in die Tat umgesetzt werden sollten, steht dabei nicht immer zwingend an oberster Stelle. Denn der Krieg in der Ukraine ist vor allem auch ein Krieg der Informationen. "Eine der Sorgen der Ukraine ist es, dass der Westen das Interesse am Krieg verliert", so Eder. Auch deshalb würden derartige Pläne in Umlauf gebracht werden.

Generell seien die USA bemüht, nicht weiter an der Eskalationsschraube zu drehen – auch aus Angst vor möglichen taktischen Atomwaffenschlägen Wladimir Putins.

Derlei Pläne – ob ein Angriff auf Moskau oder in Syrien – müssten am Ende des Tages vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgesegnet – und von Washington mitgetragen werden. Aus den US-Leaks geht hervor, dass Selenskyj bereits im Dezember einen Stopp der Syrien-Planungen angeordnet hatte.