NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist am Donnerstag überraschend zu einem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eingetroffen. Das bestätigte ein Sprecher des Verteidigungsbündnisses der Deutschen Presse-Agentur. Bei seiner ersten Kiew-Reise seit dem russischen Einmarsch vor knapp 14 Monaten ehrte der Generalsekretär am Vormittag die gefallenen ukrainischen Soldaten an der Außenmauer des zentralen St. Michaelsklosters. Weitere Programmpunkte waren zunächst unbekannt.
Strengste Geheimhaltung
Aus Bündniskreisen hieß es, geplante Treffen würden aus Sicherheitsgründen zunächst geheim gehalten. Möglicherweise als Ablenkungsmanöver hatte für diesen Donnerstag auch noch bis zum Dienstagabend ein Treffen mit Tschechiens Präsident Petr Pavel in Brüssel auf dem öffentlichen Terminkalender von Stoltenberg gestanden. Dieses war dann kurzfristig auf Mittwochnachmittag verlegt worden. Direkt im Anschluss dürfte sich Stoltenberg dann auf den Weg in Richtung Ukraine gemacht haben.
Zur Reiseroute gab es zunächst keine Angaben. In der Regel fliegen nach Kiew reisende Spitzenpolitiker zunächst nach Rzeszow im Südosten von Polen. Von dort geht es meist nach Przemysl. Der dortige Bahnhof hat ein Gleis in russischer Breitspur, die auch in der Ukraine gebräuchlich ist. Von Przemysl fahren deshalb Züge direkt nach Kiew. Flüge in die Ukraine gelten wegen der Gefahren durch den russischen Angriffskrieg gegen das Land weiter als zu gefährlich.
Vermutlich direkt aus der Ukraine wird Stoltenberg dann zu einem Treffen der internationalen Kontaktgruppe zur Koordinierung von Militärhilfe für die Ukraine reisen. Dieses wird an diesem Freitag auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz organisiert. Zu dem Treffen in Deutschland wird auch der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow erwartet. Er könnte gemeinsam mit Stoltenberg nach Ramstein reisen.
Stoltenberg gilt seit Beginn des russischen Angriffskrieges als unermüdlicher Unterstützer der Ukraine und wirbt kontinuierlich für neue Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräfte. Bei einem Gipfeltreffen der östlichen Bündnisstaaten in Warschau hatte sich der Norweger jüngst dafür ausgesprochen, Russland ein für alle Mal seine Grenzen aufzuzeigen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Russland weiter die europäische Sicherheit untergräbt", sagte der Norweger damals. Man müsse den "Kreislauf der russischen Aggression durchbrechen" und dafür sorgen, "dass sich die Geschichte nicht wiederholt".
Stoltenberg gehört auch zu denjenigen Politikern, die sich immer wieder aufgeschlossen für eine deutlich größere Unterstützung der Ukraine mit westlichen Waffensystemen gezeigt haben. Auf die Frage, ob Alliierte im Zweifelsfall eher Fähigkeitsziele des Bündnisses erfüllen sollten, als der Ukraine noch mehr Ausrüstung zu liefern, machte er so im vergangenen Jahr deutlich, dass er eine Niederlage der Ukraine für gefährlicher hält als nach Plan gefüllte Waffenlager in NATO-Staaten.
Einladung für Selenskyj
Zuletzt lud Stoltenberg den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auch zum kommenden NATO-Gipfel in Litauen ein. "Wir freuen uns darauf, Präsident Selenskyj bei unserem Gipfel in Vilnius im Juli zu treffen", sagte er Anfang April. Der NATO-Gipfel wird am 11. und 12. Juli in Litauens Hauptstadt organisiert. Unklar blieb zunächst, ob der Präsident des von Russland angegriffenen Landes tatsächlich kommen wird.
Unterdessen hat der Kreml sein Kriegsziel bekräftigt, eine Aufnahme des Nachbarlandes in das Militärbündnis zu verhindern. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte der Agentur Interfax zufolge am Donnerstag, dass Russland sich durch eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine bedroht sehe. "Weil das andernfalls eine ernste, bedeutende Gefahr für unser Land, für seine Sicherheit mit sich bringt", sagte Peskow.