Seit Ausbruch der Kämpfe zwischen der Armee und paramilitärischen Kräften im Sudan sind mindestens 97 Zivilisten getötet worden. Weitere 942 Menschen, unter ihnen Soldaten wie Zivilisten, seien verletzt worden, teilte die sudanesische Ärzte-Organisation Montagfrüh mit. Auch am dritten Tag seit Ausbruch der Gewalt gingen die Kämpfe zwischen der Armee und der rivalisierenden Rapid Support Forces (RSF) weiter. Dabei schien die Armee die Oberhand zu gewinnen.
Berichten zufolge konzentrierten sich die Kämpfe in der sudanesischen Hauptstadt Khartum auf zentrale Einrichtungen der Regierung wie den Präsidentenpalast und das Armee-Hauptquartier. Auch in anderen Städten wie Nyala, Regionalhauptstadt des Bundesstaates Süd-Darfur und nach der Hauptstadtregion bevölkerungsreichste Stadt des Landes, kam es zu Auseinandersetzungen.
Die sudanesischen Streitkräfte hätten Luftangriffe auf Kasernen und Stützpunkte der "Rapid Support Forces" (RSF) geflogen, sagten Zeugen am Sonntag. Die Armee habe auch die Kontrolle über einen Großteil des Präsidentenpalastes in der Hauptstadt Khartum zurückerobert.
In den vergangenen Tagen war der seit Wochen schwelende Konflikt zwischen Sudans De-Facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan und seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo, dem Anführer der RSF, eskaliert. Die Militärapparate beider Lager bekämpfen sich unter anderem mit schwerer Artillerie, Panzern und Luftangriffen. Durch anhaltende Kämpfe in dicht besiedelten Stadtteilen werden noch höhere Opferzahlen befürchtet.
Krankenhäuser überlastet
Bereits in der Nacht zum Montag hatte die Weltgesundheitsorganisation 83 Tote und mehr als 1.126 Verletzte gemeldet. Die Menschen seien seit vergangenem Donnerstag im Bundesstaat Khartum mit der gleichnamigen Hauptstadt, in Süd-Kordofan, Nord-Darfur und anderen Regionen ums Leben gekommen, hieß es.
Aufgrund der schweren Gefechte in Khartum am Wochenende sind die Krankenhäuser in der sudanesischen Hauptstadt, in deren Umland rund sechs Millionen Einwohner leben, laut WHO überlastet. Vielen der neun Krankenhäuser, die verletzte Zivilisten aufnehmen, fehle es an Blutkonserven, Transfusionszubehör und anderem medizinischen Material. Wasser- und Stromausfälle sowie fehlender Treibstoff für die Stromgeneratoren der Krankenhäuser erschwerten den Betrieb weiter. Auch Fachpersonal wie Anästhesisten fehle.
Chaotische Lage
Der Machtkampf im Sudan lässt das flächenmäßig drittgrößte Land Afrikas mit seinen rund 46 Millionen Einwohnern und reichen Öl- und Gold-Vorkommen im Chaos versinken. Wer dort auf dem Schlachtfeld gerade die Oberhand hat, ist angesichts der unübersichtlichen Lage und widersprüchlichen Angaben beider Konfliktparteien unklar. Sowohl die sudanesischen Streitkräfte unter dem Befehl von De-Facto-Präsident Burhan als auch die von seinem Vize Dagalo, genannt Hemedti, angeführte paramilitärische Gruppe RSF verbreiten Erfolgsmeldungen, deren Wahrheitsgehalt sich kaum überprüfen lässt. Am Montag will der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York über die Lage beraten.
Die Kämpfe waren am Samstagmorgen in Khartum ausgebrochen. Die RSF behaupteten, sudanesische Soldaten seien in ihr Hauptquartier im Süden der Stadt einmarschiert. RSF-Kräfte griffen den Flughafen im Norden der Stadt sowie den Präsidentenpalast an. Die Armee setzte Artillerie, Kampfflugzeuge und Panzer ein. Am Sonntag konzentrierten sich die Kämpfe weiter auf das nahegelegene Hauptquartier der Armee und das Gebäude des staatlichen Rundfunks.
Kampf um Institutionen
Seit dem Sturz des Langzeitherrschers Omar al-Bashir 2019 teilen sich die RSF und das Militär faktisch die Macht im Land, doch spannungsfrei war das Verhältnis beider Lager nie. Im Zuge des jüngst erneut verschobenen Übergangs zu einer zivilen Regierung sollten die RSF in die Streitkräfte eingegliedert werden, was zum Bruch zwischen den Verbündeten führte. RSF-Anführer Dagalo warf General Burhan vor, sich an die Macht zu klammern.
Die Kämpfe drohten den ohnehin von Konflikten geprägten Sudan vollends zu zerreißen, sagte Gerrit Kurtz, Politologe der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, der Deutschen Presse-Agentur. Entscheidend sei die Entwicklung der kommenden Tage. "Dazu zählt, wer von den beiden Parteien Kontrolle über die Staatsinstitutionen im Zentrum Khartums erlangt und wer den Kampf um innenpolitische und internationale Legitimität gewinnt."
"Feindseligkeit entlädt sich"
"Jahrelange Konkurrenz zwischen beiden Sicherheitskräften, die nur durch eine Zweckgemeinschaft gegen die Zivilgesellschaft zusammengehalten wurden, entlädt sich jetzt in offener Feindseligkeit", erklärte Kurtz. "Beide Kräfte sind gut bewaffnet, auch wenn die RSF keine Luftwaffe haben und weniger schwere Waffen."
Das Militär sei durchsetzt mit loyalen Anhängern des 2019 abgelösten Machthabers Bashir, die dem RSF-Führer wegen dessen Rolle beim damaligen Umsturz misstrauen und ihn als Verräter ansehen. "Armeechef Burhan handelt nicht zuletzt unter dem Druck dieser islamistischen Kräfte, der sich mit Blick auf die mögliche Übergabe der Macht an eine zivile Regierung zuspitzte", so Kurtz. Der General sperre sich gegen die Kontrolle des Sicherheitsapparats durch eine zivile Übergangsregierung, "während Hemedti glaubte, seine Geschäfte und Operationen im Graubereich der Legalität auch so weiterführen zu können".