Kurz vor dem ersten Jahrestag des Kriegs gegen die Ukraine hat Russlands Präsident Wladimir Putin seine mit Spannung erwartete Rede zur Lage der Nation gehalten. Vor den Vertretern der Föderalen Versammlung im Veranstaltungszentrum Gostiny Dwor in Moskau spulte Putin seine Sicht der Dinge ab. Eine Ankündigung einer neuen Mobilmachung oder Großoffensive blieb aus. Die rund einstündige Ansprache darf als propagandistische Erinnerung an das russische Volk verstanden werden.

Westen hätte Krieg losgetreten

Putin betonte, dass der Krieg nicht der Ukraine alleine gelte. Sondern dem Westen. Dieser wäre kurz davor, einen regionalen Konflikt zu einem Atomkrieg werden zu lassen.

Der Westen hätte den Krieg – durch angebliche Putsch-Unterstützung und eine Nato-Erweiterung – losgetreten, Russland sich "aufrichtig" um Frieden bemüht, so Putins parallele Realität. Auch behauptete der russische Präsident, der Westen hätte bereits vor dem Einmarsch im Februar eine Art "blutige Straftaktion" gegen den Donbass vorbereitet.

Beifall für Putin: Ex-Kremlchef Dmitri Medwedew (4. v. l.) und Patriarch Kyrill (5.v.l.)
Beifall für Putin: Ex-Kremlchef Dmitri Medwedew (4. v. l.) und Patriarch Kyrill (5.v.l.) © (c) AP (Maxim Blinov)

Putin sprach von menschlichen Tragödien und unzähligen Opfern. 90.000 Menschen seien durch entfachte Kriege der USA in der Vergangenheit gestorben. Den russischen Gefallenen räumte Putin hingegen wenig Platz in seiner Rede ein. Er danke den Müttern, Ehefrauen und mutigen Kämpfern. Alle Brigaden wolle er nicht aufzählen, das sprenge den Rahmen. Die CIA ging im Juli bereits von 15.000 toten russischen Soldaten aus. Nach jüngsten britischen Schätzungen seien mittlerweile bis zu 60.000 Kämpfer aufseiten Russlands gefallen.

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Infrastruktur-Versprechen

Der Kremlchef betonte, Russland werde in der Ukraine "sorgfältig und systematisch" vorgehen und die Ziele seines Militäreinsatzes so "Schritt für Schritt" erreichen.

Für die völkerrechtswidrig annektierten Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson kündigte Putin eine Infrastruktur-Offensive an. Unternehmen und Firmen sollten sich ansiedeln, moderne Straßen gebaut werden.

Dem russischen Heer versprach er finanzielle Unterstützung. Man werde neue Technologien, auch im militärischen Bereich, forcieren und fördern. "Die Ausstattung unserer nuklearen Abschreckungskräfte sind zu 91 Prozent kampffähig", so Putin. Der russische Präsident kündigte die Aussetzung des letzten großen atomaren Abrüstungsvertrages mit den USA an. Es handle sich nicht um einen Ausstieg, sondern um eine Aussetzung des "New Start"-Vertrags, sagte der Kremlchef während seiner Rede.

An diesem Freitag, dem 24. Februar, wird es ein Jahr her sein, dass der Präsident die Invasion in die Ukraine angeordnet hat. Putins jüngster Auftritt war seine bisher 18. Rede zur Lage der Nation. Die vorherige ist bereits knapp zwei Jahre her und fand im April 2021 statt. Im vergangenen Jahr gab es keine; der Kremlchef hatte dies mit einer sehr hohen "Dynamik der Ereignisse" erklärt.