Voller Stolz hatte der damalige Premier und frühere Rebellenchef Hashim Thaçi am 17. Februar 2008 im Parlament in Pristina den Vollzug der endgültigen Abnabelung von Serbien verkündet. "Der Tag ist gekommen: Von diesem Moment an ist Kosovo stolz, unabhängig und frei." Böllerschüsse und ein vielstimmiger Jubelchor waren der Auftakt für eine tagelange Unabhängigkeitsparty. 350 Kilometer weiter im Norden sollten wenige Tage später Flammen lodern und Fenster klirren: Unter den Augen von Serbiens tatenloser Polizei plünderte ein wütender Mob die Läden in der Innenstadt und steckte mehrere Botschaften in Brand.
15 Jahre später ist in Pristina die einstige Partystimmung längst verflogen. Nur noch ein Poster an einer Hausfassade erinnert an den wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen in Den Haag vor Gericht stehenden Thaçi.
Was Rechtsstaat und Demokratie angehe, stehe Kosovo besser da als andere Staaten der Region, sagt der Analyst und frühere Botschafter Lulzim Peci: "Doch das größte Problem für Kosovo bleibt das ungeklärte Verhältnis zu Serbien: Es behindert die volle Integration in die internationale Gemeinschaft." Mit dem Segen der USA und fast aller EU-Staaten, aber gegen den Willen Serbiens hatte der Staatenneuling seine Unabhängigkeit erklärt. Seitdem behindert das Ex-Mutterland in der internationalen Arena auch mit der Veto-Hilfe Russlands und Chinas nach Kräften.
"Nur auf dem Papier sind wir Serben gleichberechtigt"
Nur noch knapp 100.000 Serben leben nach jüngsten Schätzungen in dem 1,7 Millionen Menschen zählenden Kosovo. Fast die Hälfte von Kosovos größter, aber schwindender Minderheit lebt im serbisch besiedelten Nordwestzipfel des Landes. Der Rest in isolierten Siedlungsenklaven südlich des Ibar. "Nur auf dem Papier sind wir Serben gleichberechtigt", seufzt im Café "Bebop" der Jurist Marko Jakšić: "Doch mit der Realität hat das leider nichts zu tun."
Im Norden stößt selbst die von Pristina forcierte Einführung von Kosovo-Autoschildern auf Widerstand. Als Belgrad im eskalierten Autoschilderstreit zu Jahresbeginn gar Truppen an der Grenze aufziehen ließ, machte in westlichen Medien das schwarze Szenario eines neuen Waffengangs die Runde. Die EU und die USA haben Serbien und dem Kosovo eine Frist bis zum März eingeräumt, um einem internationalen Plan zur Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden Ländern zuzustimmen. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hatte daraufhin erklärt, die Gespräche zur Normalisierung der Beziehungen mit dem Kosovo müssten fortgesetzt werden. Das handelte ihm die Wut serbischer Nationalisten ein. Die von Belgrad gerne gezeichnete Gefahr eines zweiten Kosovo-Kriegs scheint aber gering. Laut Miodrag Milićević von der Bürgerrechtsgruppe "Aktiv" verfehlt der "sich beschleunigende Krisenzyklus" seine Wirkung aber dennoch nicht: Immer mehr Serben würden den Kosovo verlassen.
"Auch in zehn Jahren noch dieselben Debatten"
Wo wird Kosovo in fünf Jahren stehen? Er hoffe, dass die Serben bis dahin "wirklich" im politischen und sozialen Leben integriert seien, sagt Analyst Peci. Der serbische Jurist Jakšić fürchtet indes, dass "wir auch in zehn Jahren noch immer dieselben Debatten führen". Wenn Kosovo ein idealer Ort für die Serben zum Leben wäre, würde auch niemand wegziehen, so Jakšić: "Milošević hat hier den Krieg geführt, nicht ich. Ich will wie alle Europäer als Serbe in Nordkosovo ein normales Leben führen."
Thomas Roser (Pristina)