Er klang wie eine Mischung aus dem Linksaußen-Senator Bernie Sanders und Donald Trump, seinem ungeliebten Vorgänger, nur ohne dessen Bissigkeit. US-Präsident Joe Biden versprach bei seiner "State-of-the-Union"-Rede gestern vor dem Kongress allen alles, mit erstaunlicher Liebe zum Detail: mehr Jobs, höhere Löhne, sichere Grenzen, billigere Medikamente. Er will Amerika vor "Big Oil" und "Big Tech" schützen, vor unfreundlichen Fluglinien, betrügerischen Hotels, gierigen Kabelanbietern und überteuerten Kontogebühren. Amerikaner hätten es satt, betrogen zu werden.
Biden will nicht nur höhere Steuern für Milliardäre, er zeigte sich auch solidarisch mit dem abgehängten Arbeiter, der unter hohen Preisen leidet, pries die Gewerkschaften und trat für den Sozialstaat ein: Wenn die Republikaner die Renten und die staatliche Krankenversicherung Medicare kappen würden, werde er sein Veto einlegen, sagte er. "Das ist das Geld der Amerikaner, das haben die verdient." Außerdem soll Amerika, versprach er, bei der Infrastruktur wieder auf Platz 1 stehen, wie unter Eisenhower.
Appell zu Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg
Dwight D: Eisenhower, republikanischer Präsident in den fünfziger Jahren, wäre nach heutigen Maßstäben ein Liberaler. Aber nicht deshalb erwähnt Biden ihn: Der Demokrat appellierte – trotz Kritik – mehrfach an die Republikaner, über Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Er begrüßte demonstrativ Kevin McCarthy, den Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus und erinnerte daran, dass der frühere Präsident George Bush Sr. mit den Demokraten gemeinsam AIDS bekämpft habe. Sollte das nicht auch heute, etwa bei Krebs möglich sein? Das war einer der wenigen Sätze von Biden, die von Republikanern beklatscht wurden. Ansonsten wurde der Präsident gelegentlich gar ausgebuht, insbesondere von der in weißen Kunstpelz erschienenen Rechtsaußen-Abgeordneten Marjorie Taylor-Green.
Und wie Trump sparte auch Biden nicht an der "Amerika ist das beste Land der Welt"-Rhetorik. Firmen, die Regierungsaufträge wollten, werde er gesetzlich verpflichten, bei Zulieferern in Amerika einzukaufen, nicht im Ausland. Das werden Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg und Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck, beide gerade auf Staatsbesuch in Washington, DC, nicht gerne hören. Solidarischer zeigte sich Biden mit der Ukraine: Er werde deren Kampf unterstützen, "Whatever it takes", versicherte er der anwesenden Botschafterin Oksana Markarova. Putins "mörderische Angriff" auf die Ukraine sei ein Test für Amerika und die Welt. Und auch wenn China die Souveränität der USA bedrohen werde, dann, so Biden, werden wir unser Land verteidigen.
Oscarreife Inszenierung
Die stundenlange "State-of-the-Union"-Rede ist inszeniert wie eine Oscar-Verleihung. Auch hohe Militärs und Juristen sowie Bürger nehmen daran teil, etwa die Eltern von Tyre Nichols, der von fünf Polizisten in Memphis totgeprügelt wurde sowie Brandon Tsay, der einen Bewaffneten in Kalifornien aufgehalten hatte. Biden begrüßte auch Paul Pelosi, der Mann der früheren Demokratenführerin Nancy Pelosi, den ein Verwirrter mit einem Hammer niedergeschlagen hatte.
Gleichwohl will eine Mehrheit in den USA, dass der 80-jährige Biden nicht noch einmal antritt. Und auch die Republikaner waren nicht beeindruckt: Für sie zeichnete Sarah Huckabee-Sanders, die Gouverneurin von Arkansas und Trumps frühere Sprecherin, ein düsteres Bild von Biden, der von dem "woken Mob" gefangen gehalten werde. Nun müssten endlich jüngere Politiker ans Ruder.
Eva C. Schweitzer (Washington)