Große Umbrüche vollziehen sich manchmal im Stillen. Diese Bundesregierung werde die Politik ihrer Vorgänger fortsetzen, sagte Willy Brandt (SPD) in seiner ersten Regierungserklärung als Kanzler 1969, um in den folgenden Sätzen einen Bruch mit der Außenpolitik seit Konrad Adenauer zu vollziehen und seine neue Ostpolitik der Annäherung an Moskau zu skizzieren. Mehr als fünf Jahrzehnte später besiegelte die SPD am Montag ein neues außenpolitisches Grundsatzpapier. Fast ebenso still und leise nahm die Partei Abschied von ihrer Russland-Politik. Man müsse die Ängste der Staaten Osteuropas ernst nehmen und Sicherheit vor Russland organisieren. Das sind neue Töne aus der SPD. Sie werden aber kaum registriert. Auch im Ausland.
Olaf Scholz und das zaudernde "scholzen"
Ähnlich verhält es sich in der Frage der Lieferung von Leopard-Kampfpanzern. Historiker Timothy Garton Ash erfand jetzt schon mal ein neues Verb: scholzen. Seine Definition: Gute Absichten öffentlich bekunden, nur um jeden Grund zu finden, die angekündigten Vorhaben zu vertagen. Klingt gut, trifft es aber nicht ganz. Die Bundesregierung scheint in der Frage weiter zu sein, als sie das öffentlich einräumt.
Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach am Sonntag allein vom offenen Zeitpunkt der Lieferungen. Es scheint also eher um das Wann zu gehen, nicht um das Ob.
Das deutsche Zaudern wird im Ausland zu Recht kritisiert. Sie hat aber ihre Gründe. Scholz folgt seiner Linie: nicht beeindrucken lassen. Und nicht weiterzugehen, als die USA.
Denn Scholz‘ öffentliche Zurückhaltung in der Panzer-Frage folgt vor allem einem innenpolitischen Motiv: die zögerliche Haltung der Linken in der SPD. Und so lässt der Kanzler die innerparteiliche Debatte derzeit andere für ihn führen. Sogar außerhalb der SPD. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann lieferte sich öffentlich ein Gefecht mit SPD-Klubobmann Rolf Mützenich, einem Vertreter der Linken in der SPD. Das Ganze war aber weniger ein Bündnisfall für die Ampel, als ein Test für die Stimmung auf der Linken der SPD. Scholz ist ein Weltenlenker mit starken innenpolitischen Zwängen. Ganz so wie Joe Biden in den USA. Oder Angela Merkel in der Eurokrise.
Bundesregierung zu Bekenntnis gezwungen
Nun schuldet die Zurückhaltung keinen Aufschub mehr. Polen schafft Fakten. Die Regierung des Landes hat in Berlin eine Genehmigung für die Lieferung des Kampfpanzers aus deutscher Produktion beantragt und zwingt die Bundesregierung zu einem Bekenntnis. Scholz hat sich unnötigerweise das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen. Ein Fehler.
Olaf Scholz hat eine Zeitenwende ausgerufen. Aber er vollzieht sie in Zeitlupe. Vor allem kommunikativ. Scholzomat wurde der SPD-Politiker früher genannt, wegen seiner mantrahaften Art als SPD-Generalsekretär die rot-grünen Arbeitsmarktreformen zu verteidigen. Nun verzweifelt das Ausland. Weniger an Scholz als an seiner Kommunikationsstrategie. Fast ein Jahr nach der berühmten Zeitenwende-Rede ist der Zeitpunkt gekommen für eine neue Regierungserklärung, um die Konsequenzen des außenpolitischen Kurswechsels zu erläutern. Nicht nur das Ausland wartet. Auch die Wählerschaft in Deutschland.
Peter Riesbeck (Berlin)