Tausende Anhänger des früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro haben am Sonntag den Kongress in der Hauptstadt Brasilia gestürmt und auch versucht, in den Präsidentenpalast einzudringen und den Sitz des Obersten Gerichtshofs zu stürmen. Die Demonstranten drangen in einer koordiniert wirkenden Aktion am späten Nachmittag vom neun Kilometer entfernten Armeehauptquartier, wo sie seit der Wahlniederlage Bolsonaros vor zwei Monaten kampierten, ins Zentrum der Macht vor. 

Die Extremisten, meist in gelbe und grüne T-Shirts gekleidet und mit brasilianischen Flaggen ausgestattet, weigern sich, den Wahlsieg des Linkspolitikers Lulas da Silva bei der Präsidentenwahl am 30. Oktober zu akzeptieren. Das Szenario gleicht sehr dem des Sturms auf das Kapitol in den USA am 6. Januar 2021, als radikale Anhänger von Donald Trump verhindern wollten, dass der Sieg Joe Bides bei der Präsidentenwahl bestätigt wurde.

Gefahr für Präsident da Silva

Erste Bilder des Überfalls zeigen, dass Anhänger des rechtsradikalen Politikers die Absperrungen des Parlaments durchbrachen und in das Gebäude eindrangen, Fensterscheiben einschlugen und Mobiliar zerstörten. Einige Eindringlinge erreichten den Senatssaal, wo sie auf Sitze sprangen und Bänke als Rutschen benutzten. Zunächst war unklar, ob sie sich weiter im Gebäude befanden. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Demonstranten zu vertreiben. 

Der Angriff stellt eine gravierende Gefahr für den neuen Präsidenten und die Demokratie in Brasilien, dem größten und wichtigsten Land Lateinamerikas dar. Zum Zeitpunkt des Angriffs befand sich Präsident da Silva auf einer Reise im Bundesstaat São Paulo. 

„Ich verurteile diese antidemokratischen Handlungen, die dringend mit der Härte des Gesetzes geahndet werden müssen“, schrieb Senatspräsident Rodrigo Pacheco auf Twitter. „Ich habe mit dem Gouverneur des Bundesdistrikts, Ibaneis Rocha, telefoniert. Er teilte mir mit, dass der gesamte Polizeiapparat sich darauf konzentriert, die Situation unter Kontrolle zu bringen.“ Justizminister Flavio Dino erklärte, dass die Regierung der Hauptstadt Verstärkung schicken werde, um die Sitze des Kongresses, des Präsidenten und des Obersten Gerichtshofs zu schützen. „Die uns zur Verfügung stehenden Kräfte sind im Einsatz“, schrieb er und betonte: „Dieser absurde Versuch, den Willen mit Gewalt durchzusetzen, wird nicht erfolgreich sein.“ 

Zehntausende radikale Anhänger Bolsonaros hatten sich zum Teil gewaltsam gegen die Niederlage ihres Idols bei der Stichwahl Ende Oktober gestemmt und zunächst mit Straßenblockaden das größte Land Lateinamerikas lahmgelegt. Wochenlang belagerten sie zudem Kasernen der Streitkräfte im ganzen Land und forderten das Militär auf, die Amtsübergabe an den Linkspräsidenten Da Silva zu verhindern. Sie bezeichnen Lula als „Dieb“ und werfen ihm vor, die Wahl nur mit Betrug gewonnen zu haben. Dafür gibt es allerdings keinerlei Beweise. 

Abstimmung verloren

Bolsonaro hatte die Abstimmung gegen den zweimaligen Ex-Präsidenten Lula mit dem knappsten Ergebnis in der Geschichte Brasiliens verloren. Er unterlag mit 49,1 Prozent seinem Herausforderer. Der Unterschied zu Lula betrug gerade einmal zwei Millionen Stimmen. Fast die Hälfte der 215 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer steht auf der Seite des Rechtsradikalen, die andere Hälfte hatte für Lula gestimmt. 

Bolsonaro hatte in dem erbitterten Wahlkampf immer wieder mit einem Vergleich mit dem Kapitol-Sturm in den Vereinigten Staaten kokettiert und behauptet, das Volk werde sich „die Wahl nicht stehlen lassen“.

Und so campieren Tausende von Bolsonaro-Anhängern seit Ende Oktober vor dem Armeehauptquartier in Brasilia und in anderen Städten und fordern die Militärs auf, Lula zu stürzen. 

Zwar werden die Lager, die in zahlreichen Städten entstanden sind, immer weniger, aber in den wichtigsten Städten bestehen sie fort. Am Freitag gelang es den Behörden in Belo Horizonte, der Hauptstadt des Bundesstaates von Minas Gerais, das erste dieser Camps aufzulösen. Am Samstag genehmigte der Justizminister Dino die Mobilisierung der Nationalen Sicherheitskräfte, einer Elitetruppe von Polizeikräften aus dem ganzen Land, für Sondereinsätze, um den Rest der Camps aufzulösen.