Für Friedrich Merz war die Sache klar. „Die deutsche Staatsbürgerschaft ist etwas sehr Wertvolles, und damit muss man behutsam umgehen“, zeterte der CDU-Vorsitzende. Sein Generalsekretär Mario Czaja legte nach und klagte, der bundesdeutsche Pass werde wie im Schlussverkauf „verramscht“. Die Union wettert gegen Pläne der deutschen Bundesregierung für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Statt nach acht Jahren im Land (und dem Nachweis einer Arbeit) soll es den bundesdeutschen Pass künftig bereits nach fünf Jahren im Land geben. „Es geht darum, dass wir uns als Einwanderungsland begreifen“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Die Union macht dagegen mobil. Zum einen bietet der Widerstand die Möglichkeit, still und leise mit der Migrationspolitik von Angela Merkel abzurechnen. Zum anderen mobilisierte die Anti-Migrationsrhetorik schon einmal erfolgreich: Nach dem Wahlsieg 1998 reformierte Rot-Grün das Staatsbürgerschaftsrecht und kehrte vom Prinzip ab, dass der deutsche Pass quasi blutrechtlich vererbt würde. Doppelpass-Kampagnen bescherten der Union damals in Ländern wie Hessen manchen Wahlsieg.
Doch ist es dieses Mal anders. Zwar setzt sich auch die Regierungspartei FDP von den Reformbemühungen ab. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, in Teheran geboren, sagte: „Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für eine Vereinfachung des Staatsbürgerschaftsrechts. Es gibt bisher keinerlei Fortschritte bei der Rückführung und Bekämpfung der illegalen Migration.“
Schnelle Einbürgerung erhöht Chancen am Arbeitsmarkt
Und auch CDU-Generalsekretär Czaja mahnte, SPD und Grüne vermengten Asyl- und Migrationspolitik. Bei Ersterem kämpft die EU derzeit vergeblich um eine Reform und einen freiwilligen Verteilmechanismus. Bei Zweiterem macht auch die deutsche Wirtschaft mobil. Sie sucht dringend nach Fachkräften. Und nicht wenige im politischen Berlin behaupten, dass hinter Merkels Entscheidung vom Herbst 2015 nicht allein humanitäre Kriterien standen, sondern auch die Suche von deutschen Unternehmen nach Arbeitskräften.
In der aktuellen Debatte bekommen SPD und Grüne nun durch eine Publikation des (eher wirtschaftsfreundlichen) Münchner ifo-Instituts Unterstützung. Eine schnelle Einbürgerung erhöht demnach die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Kinder der Eingebürgerten hätten zudem bessere Bildungschancen. „Aus der vergangenen Liberalisierung des Staatsbürgerrechts in Deutschland sehen wir, dass sich ein einfacherer und schnellerer Zugang zur Staatsbürgerschaft positiv auf Löhne und Beschäftigung auswirkt“, so Helmut Rainer, Leiter des ifo-Zentrums für Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsökonomik.
Eine Million Einwanderungen pro Jahr
Das ifo-Institut sammelte Forschungsergebnisse zu Migration und Einbürgerung. Mit rund einer Million Einwanderungen pro Jahr zählt Deutschland demnach „zum beliebtesten Zielland der Welt und übertrifft sogar die Vereinigten Staaten“. Die Forscher Christine Gathmann (Uni Heidelberg) und Ole Monscheuer (Humboldt-Universität Berlin) untersuchten den Effekt der Einbürgerung auf Einkommen und Geschlechterrollen in Deutschland und angestammten Einwanderungsländern wie Australien, USA, Kanada, Frankreich und Großbritannien. Im internationalen Vergleich hat Deutschland demnach mit 40 Prozent der Migranten die niedrigste Einbürgerungsrate, in Kanada liegt die Quote bei 80 Prozent. Die Forscher notieren, dass vor allem Frauen von einer raschen Einbürgerung profitieren. Sie verdienen erheblich mehr (als ohne Pass des Zuwanderungslands), sie heiraten später: Einbürgerung verändert auch Geschlechterrollen.
"Undogmatische Lösungen"
Swantje Falcke von der Universität Maastricht untersuchte in den Niederlanden und in Deutschland den Effekt einer frühen Einbürgerung auf die Integration. Ihr Fazit: „Für bestimmte Immigrantengruppen (etwa aus armen Herkunftsländern) ist die Einbürgerung ein Katalysator für Integration.“ Paolo Pinotti von der Universität Mailand sieht in Italien für Migranten mit Bleibeperspektive niedrigere Kriminalitätsraten.
Soweit die Forschung. Auch in der Politik kommt das Ganze langsam an. Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union, stimmte immerhin einem schnelleren Zugang zum deutschen Pass für ehemalige Gastarbeiter im Rentenalter zu. Er sagte im Deutschlandfunk: „Es ist angezeigt, dass man da durchaus auch undogmatische Lösungen findet.“ Zwischen Asyl- und Migrationspolitik bewegt sich also etwas.
Peter Riesbeck (Berlin)