Das Wiener Palais Schwarzenberg ist eine Großbaustelle. Man kann es hören. Im Innenhof parkt sein Maserati mit tschechischer Nummerntafel. Neben dem schmalen Aufzug, der vom eingerüsteten Innenhof direkt in die Wohnung führt, lehnt in einer Nische der zusammengeklappte Rollstuhl. Auf dem Tisch Silberbesteck, Tabletten, Gewürze und steirisches Kernöl, daneben eine Palette heimischer Tageszeitungen. Am nächsten Morgen muss der Pendler wieder nach Prag, ein „politisches Essen“. Der Gastgeber hat keine Freude, als der Fotograf den Joghurtbecher mit den Himbeeren aus dem Blickfeld rückt. „Was machen Sie?“ Karl Schwarzenberg entschuldigt sich für die nachlassende Hör- und Sehkraft. Er vermisse die Jagd und den Wald. Am Abend ist er zu Gast bei den Neos. Dass eine liberale Kraft jemals eine beständige Kraft im Parteienspektrum des Landes sein könne, habe er nicht für möglich gehalten, „dann noch eher eine Bananenplantage in Murau“. Dass er das familieneigene Schloss in der Obersteiermark nicht mehr bewohnen könne, der vielen Stiegen wegen, kränkt ihn. Das habe man am Ende von den Schlössern. Ironie und Wachheit – beides schimmert in der Begegnung ungebrochen durch.

Wie geht es Ihnen?
KARL SCHWARZENBERG: Man lebt.

Wie lebt man?
Es ist mühsam, wenn man nicht mehr selber gehen kann. Das Spaziergehen im Wald, meine ganze Freude, ist nicht mehr. Die Füße wollen nicht. Im Rollstuhl geht es, solange mich jemand schiebt. Ich staune jeden Tag, wenn ich noch aufwache. Bist du noch immer da? Gehst du den Leuten noch immer auf die Nerven? Ich freue mich, wenn ich meine Enkelkinder sehe. Sonst habe ich keine Erwartungen mehr.

Wie ist es mit der Jagd?
Am Wagerl? Wie wollen Sie da auf die Jagd gehen? Das ist hoffnungslos. Vor zwei, drei Jahren war ich auf Fasanenjagd. Plötzlich stelle ich fest, ich bin nicht mehr standfest. Da habe ich die Flinte abgegeben. Es fehlt mir.

Sie sind Schweizer, Tscheche und Österreicher, Österreicher ohne Pass. Wird das so bleiben?
Dass ich mich im Alter noch einmal der Bürokratie unterwerfe, das mute ich mir nicht mehr zu. Ich habe die Staatsbürgerschaft, mit der ich geboren bin, und das reicht mir.

Klärt sich im Alter die Frage nach der vorrangigen Zugehörigkeit?
Ich erlaube mir, Patriot zweier Länder zu sein. Ich habe in Österreich 41 Jahre verbracht, und wenn es so weitergeht mit mir, werde ich die 41 Jahre auch noch in Böhmen schaffen. Dort bin ich geboren, dort habe meine Kindheit verbracht. In Österreich habe die Frau, die Kinder und Enkelkinder. Es ist das Land meiner ersten Lieben.

Wie nehmen Sie es in seiner Zerfahrenheit wahr, auch im einsetzenden Wohlstandsbruch?
Österreich entwickelt sich im Sog des europäischen Durchschnitts. Das Land kann nicht endlos reicher werden. Das ist überall so: Wenn man Einbußen hinnehmen muss, erträgt man das schwer. Aber man wird es ertragen müssen.

Fürchten Sie eine Radikalisierung, wenn die Mitte brüchig wird?
Was die Mitte angeht: Wir zahlen den hohen Preis für Sebastian. Ich habe es der Volkspartei vorausgesagt.

Was ist passiert?
Die ganze Partei ist ihm anheimgefallen. Ein Schwindler. Das war er von Anfang an. Was er gesagt und was er getan hat, war ein einziger Widerspruch. Denken Sie nur an die Migrationspolitik! Es war klar, dass das in einer Katastrophe enden musste.

Warum fällt es der ÖVP so schwer, sich zu befreien? Sie wirkt richtungslos wie das Land.
Davor habe ich Angst. Denn auch die SPÖ ist in Wahrheit in keinem guten Zustand. Als der stärkste Politiker wird uns noch der Kickl präsentiert, und der ist nun wirklich nicht die vollendete Hoffnung des Landes.

Was bleibt von Kurz?
Ein schaler Geschmack.

Wie kommt die Volkspartei da wieder raus?
Indem sie sich auf ihre Wurzeln besinnt. Vom Christlichsozialen ist nichts übrig geblieben. Wo haben Sie noch irgendein christliches Element in der Politik der ÖVP? Ich bin ein alter Schwarzer, aber vom Türkis will ich verschont bleiben. Die totale Preisgabe aller christlichen Prinzipien, das ist ein bisserl viel für mich. Die Partei kann nur existieren, wenn klar ist, wofür sie steht. Wenn sie das nicht vermitteln kann, wofür soll ich sie dann wählen?

Wo konkret fehlt das Christliche?
In fast allem. Sagen Sie es mir: Wo bitte kann man es erkennen?
Ein Parteigänger könnte jetzt antworten: im Betonen der christlichen Identität des Landes gegenüber dem politischen Islam.
Aber das ist ja genau das falsche Betonen! Ich habe keine Angst vor vollen Moscheen im Land, wohl aber fürchte ich mich vor den leeren Kirchen.

Auch das „Grüß Gott!“ verteidigt die ÖVP mit feurigem Eifer.
Das ist ein alter österreichischer Gruß, den auch ausgewiesene Atheisten im Mund führen. Ihn jemandem zum Vorwurf zu machen, so was Dummes hab ich schon lange nicht mehr gehört. Das sind Momente, wo das Land in die blanke Lächerlichkeit kippt. Die Volkspartei könnte sich darüber aufregen, wenn sie selber christlicher wäre. Aber das ist sie nicht. Das ist ja so, als würde ich ein Tugendwächter-Programm vorstellen.

Sie lachen.
Wenn ich etwas bereue, dann die Sünden, die ich verabsäumt habe.

Ist die ÖVP zu lange an der Macht?
Ja, jede demokratische Partei braucht nach einiger Zeit an der Macht den Wechsel in die Opposition, damit sie wieder zu sich kommt. Alle begabteren Parteifunktionäre enden in Staatsfunktionen. Der Partei bleibt der Rest. Das ist der Untergang, egal, ob das bei den Sozis war oder bei der ÖVP. Das ist immer dasselbe Theater – bei uns, aber auch in Deutschland.

Wie sehr fehlt Angela Merkel?
Mir nicht. Ich hab sie respektiert, aber nie überschätzt. Sie war mit einem gesunden Machtinstinkt ausgestattet. Ich hab sie dafür bewundert, wie sie alle Männer, die eine Konkurrenz waren, ausgeschaltet hat. Eine Sonderleistung. Ihre Politik habe ich weniger geschickt gefunden. Auch sie ist auf die Russen hereingefallen.

Und Sie nicht?
Nein. Alle tun jetzt so, als ob ich ein Prophet gewesen wäre. Aber ich habe Putin einfach nur genau zugehört und die Schlüsse daraus gezogen. Aber das wollte im Westen niemand hören.

Manche vergleichen Putin mit Hitler. Ist das zulässig?
Hitler war in seinem Wahn der Irrationalere. Was Putin macht, ist in seiner Logik durchaus rational. Er hat seine Jugendzeit in Dresden verbracht. Damals reichte das Sowjetimperium von Zentralasien bis Erfurt und Eger. Doch plötzlich brach das Ganze zusammen. Für Putin war der Zerfall der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. So wie für die Deutschen Versailles. Aber das sind normale Vorgänge. Man gewinnt und verliert im Leben. Doch für manche muss der Zustand von vorher wieder hergestellt werden. Das haben die Deutschen mit Hitler probiert. Das probiert Putin. Es gelingt ihm halt nicht.

Warum sind Sie sich so sicher?
Weil Russland militärisch zu schwach ist. Für jemanden wie mich, der die Rote Armee 1945 erlebt hat, hat ihr desolater Zustand fast etwas Unwirkliches.

Haben Sie Verständnis für einen Pazifismus, der sagt „Schluss mit den Waffenlieferungen“?
Aha. Und die Ukrainer sollen draufgehen? Damit die Europäer eine Ruhe haben? Das ist eine rücksichtslose, egoistische Haltung, die sich noch dazu heuchlerisch in ein pazifistisches Gewand hüllt. Das stößt mich ab.

Was sagen Sie zu Österreichs Veto gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien?
Blanke Innenpolitik. Ich schätze Österreichs Rolle am Balkan. Aber dieses Veto ist ein dummer Streich. Hoffnungslos egozentrisch. Österreich missachtet seine geschichtliche Aufgabe, sich dieser Länder anzunehmen.

Sie werden am Samstag 85. Was sind Ihre Erwartungen ans Leben?
Keine. Stolz bin ich auf die Kinder und Enkelkinder.

Wir vermissen Ihr Pfeifen-Ensemble, das immer am Tisch lag. Was ist passiert?
Im Advent wird nicht geraucht. Ich freue mich schon auf den Heiligen Abend.

Was für ein Tabak wird es sein?
Ein natürlicher. Den parfümierten mag ich nicht.