Richten sich die Proteste, die wir derzeit sehen, rein gegen die Null-Covid-Politik Chinas oder geht es gar um Regimekritik?
ADRIAN GEIGES: Das ist wirklich das Neue. Und das haben wir seit 1989, seit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, nicht mehr erlebt. Ich habe selbst als Korrespondent immer wieder von Protesten berichtet. Aber das war anders. Da ging es um ethnische Konflikte, also Aufstände von Tibetern oder Uiguren. Waren hingegen Chinesen beteiligt, handelte es sich nur um punktuelle Fragen wie Entschädigungszahlungen bei Zwangsumsiedlungen. Die Leute haben immer wieder geklagt über korrupte lokale Politiker. Aber die zentrale Führung in Peking beschrieben sie immer als gut und schön. Und jetzt hören wir Demonstranten "Nieder mit der Kommunistischen Partei!" rufen und sehen sie weiße Zetteln als Symbol für Demokratie, Rechtsstaat und Redefreiheit hochhalten. Das ist eine neue Dimension. Auslöser und das Hauptthema sind nach wie vor die Coronamaßnahmen, aber der Frust darüber ist so groß, dass es auch Regimekritik gibt.