Eine ganz gewöhnliche Straßenkreuzung an der Wulumuqi-Straße mitten in Shanghai. Hunderte Polizisten riegeln die Kreuzung ab, wer dennoch Blumen niederlegen will, muss mit Verhaftung rechnen. Wulumuqi ist der chinesische Name für Urumqi, die Hauptstadt der Uiguren-Provinz Xinjiang. Dort sind vor wenigen Tagen bei einem Wohnungsbrand mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen. Die Feuerwehr konnte wegen eines Lockdowns nicht rechtzeitig eingreifen, Fluchtwege waren versperrt. Seither schwappt eine Welle der Empörung über ganz China, in Shanghai erreichte sie am Wochenende einen vorläufigen Höhepunkt. Und es werden nicht nur Blumen für die Todesopfer von Urumqi niedergelegt.
„Nieder mit der Partei, nieder mit Xi Jinping!“, rufen die Demonstranten in der Wulumuqi-Straße. Eine derart offene Kritik hat es in China seit dem Tiananmen-Massaker vor 33 Jahren nicht mehr gegeben. Videos von Protestaktionen auch aus anderen Städten fluteten das chinesische Internet, aber die Zensurbehörden löschen auf Hochtouren. In immer mehr Städten protestieren Menschen speziell gegen die Null-Covid-Politik Chinas, die vielen von ihnen Freiheit und Einkommen raubt. In Peking ging am Montag ein Großaufgebot der Polizei in den Morgenstunden gegen Hunderte protestierende Menschen in der Nähe des Diplomatenviertels vor.
Josef Dollinger (Peking)