Die türkische Luftwaffe hat in der Nacht auf Donnerstag Anlagen zur Ölförderung der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) im Nordosten des Nachbarlandes angegriffen. Das teilten drei mit den Vorgängen vertraute Personen in der betroffenen Region mit. Demnach wurden sowohl Ziele nahe der Stadt Qamischli und im ölreichen Gebiet Rumeilan mit Drohnen bombardiert. Nach SDF-Angaben wurden Dutzende Menschen getötet, darunter elf ihrer Milizionäre.
254 "Terroristen neutralisiert"
Es sei das erste Mal, dass die Türkei systematisch Ölfelder unter Kontrolle der mit den USA verbündeten SDF angreift. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge beschossen am Donnerstag türkische Streitkräfte auch mehrere Dörfer und attackierten ein Gebiet per Drohne. Berichte über Tote oder Verletzte gab es zunächst nicht. Auch ein Militärstützpunkt der syrischen Regierungskräfte in der Nähe von Kobanê soll bombardiert worden sein. Die Türkei setzt nach eigenen Angaben auch Geschütze am Boden ein.
Seit der Nacht zum Sonntag fliegt die Türkei im Nordirak und in Nordsyrien Luftangriffe und hat eigenen Angaben zufolge hunderte Ziele angegriffen und dabei insgesamt "254 Terroristen neutralisiert". Ankara argumentiert dabei gegen kurdische Milizen wie die kurdisch-syrische YPG vorzugehen, die das Land für das Attentat in Istanbul vom 13. November verantwortlich macht. Die YPG bestreitet das, sowohl die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK als auch die SDF haben erklärt, nichts mit dem Bombenanschlag zu tun zu haben.
Beobachter kritisieren, dass die Angriffe der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) helfen. Für Aufsehen sorgten in den vergangenen Tagen Berichte über türkische Luftangriffe auf das berüchtigte Flüchtlingslager Al-Hol sowie ein Gefängnis in Qamischli. Beide beherbergen IS-Anhänger. Bei dem Angriff auf das Camp starben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge acht Aufseher. Menschen hätten versucht, zu entkommen.
Russland reagiert
Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar unterstrich am Donnerstag nach Angaben seines Ministeriums nach einem Telefonat mit dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu, sein Land wolle terroristischen Gefahren aus dem Norden Syriens dauerhaft vorbeugen. Am Mittwoch hatte Russland die Türkei aufgefordert, auf die angekündigte Bodenoffensive gegen die SDF zu verzichten. Russland unterstützt im Krieg in Syrien Präsident Baschar al-Assad, die Türkei Rebellengruppen. Ankara hält nach vier früheren Militäroffensiven bereits Grenzgebiete im Norden Syriens besetzt, im Irak gibt es seit 2016 mehrere türkische Militärstützpunkte.
Auch das russische Verteidigungsministerium bestätigte das Telefonat. Es sei dabei um "die aktuelle Situation in Nordsyrien" gegangen sowie um das erst kürzlich verlängerte Getreideabkommen zur Ausfuhr von Lebensmitteln aus ukrainischen Häfen. Moskau kontrolliert zudem Luftraum in Nordsyrien – was nach Beginn der türkischen Luftoffensive Vermutungen genährt hatte, Russland habe der Türkei im Voraus Grünes Licht gegeben. Moskau hatte bisher nur zurückhaltend auf die Angriffe reagiert.
USA dringen auf Deeskalation
Die US-Regierung zeigte sich "zutiefst besorgt" über die jüngsten militärischen Aktionen, die die Region destabilisierten, wie ein Sprecher des Außenministeriums am späten Mittwochabend (Ortszeit) in Washington mitteilte, ohne sich direkt an Ankara zu wenden. Sie bedrohten das gemeinsame Ziel, den "Islamischen Staat" zu bekämpfen; auch gefährdeten sie Zivilisten sowie in der Region stationierte US-Soldaten. Man spreche sein Beileid für den Verlust von Zivilistenleben in Syrien und der Türkei aus. In der Südtürkei waren am Montag drei Menschen getötet worden. Laut türkischer Darstellung starben sie durch Raketen, die aus Syrien abgefeuert wurden.
"Wir verstehen, dass die Türkei berechtigte Sicherheitsbedenken hinsichtlich des Terrorismus hat", teilte Price weiter mit. Gleichzeitig hätten die USA immer wieder ernste Bedenken über die Auswirkungen der Eskalation in Syrien zum Ausdruck gebracht. Die USA haben rund 900 Soldaten in Syrien im Einsatz, die meisten im Nordosten. Sie arbeiten dort mit den SDF im Kampf gegen den IS zusammen.
Hürcan Aslι Aksoy vom Centrum für Türkeistudien (CATS) in Berlin geht davon aus, dass Erdoğan Bodentruppen entsenden wird. "Wenn er es ankündigt, wird es wohl auch passieren." Sollte die Türkei mit Bodentruppen in Syrien einmarschieren, werde das vermutlich hauptsächlich Kobanê treffen, so Aksoy. Die Region ist bisher fest in der Hand der von der YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte.
Hier müsse sich die Türkei auf den wenigsten Widerstand Russlands, der USA und Irans einstellen. Russland sei beschäftigt in der Ukraine. "Und die USA warten offenbar darauf, dass Ankara den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands durchwinkt." Den blockiert das Nato-Mitglied bisher, unter anderem mit Verweis auf deren angebliche Unterstützung für die YPG.