Frau Sully, Schottland darf kein zweites Unabhängigkeitsreferendum aus eigenen Stücken abhalten: Wie überraschend kommt das entsprechende Urteil des britischen Höchstgerichts für Sie?
MELANIE SULLY: Es gibt natürlich stets ein gewisses "Restrisiko". Es ist aber nicht sehr überraschend. Das Höchstgericht hat sich in Zweifelsfragen immer für die Rechte des Parlaments in Westminster eingesetzt. Auch 2014 gab es eine Debatte: Die Schotten überlegten damals zuerst eine Art "wildes Referendum" ohne Zustimmung von London. Die aktuelle Entscheidung des Gerichts erfolge zudem einstimmig und binnen weniger Wochen. Eine Anfechtung wäre nun sinnlos.
Eine Schlappe für die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon?
SULLY: Es ist natürlich eine Niederlage für die Schottische Nationalpartei (SNP) und ihre Vorsitzende Nicola Sturgeon. Auf der anderen Seite könnte es einen gewissen Mobilisierungseffekt geben, die Menschen könnten es als Frechheit auffassen, dass London ihnen das Recht auf ein neues Referendum nicht zubilligt. Sturgeon sagt, diese Union beruhe nicht auf freiwilliger Basis, Schotten fühlten sich als "Bürger zweiten Klasse". 2014 zeigte sich aber, dass ein Referendum mit der Zustimmung von London möglich ist, man muss es aber ausverhandeln. Der damalige britische Premierminister David Cameron und der einstige SNP-Vorsitzende Alex Salmond fanden einen Konsens, damit ein Referendum verfassungsmäßig über die Bühne gehen kann.