Der ungarische rechtsnationale Regierungschef Viktor Orbán muss sich den Vorwurf des Geschichtsrevisionismus gefallen lassen, weil er bei einem Fußballspiel einen "Großungarn-Schal" getragen hat. Auf dem Schal sind die Grenzen des früheren Königreichs Ungarn zu sehen, das unter anderem Gebiete des heutigen Österreichs, der Slowakei, Rumäniens, Kroatiens, Sloweniens, Serbiens und der Ukraine umfasste. In mehreren Ländern sorgte der Auftritt daher für Kritik.

Orbán hatte sich am Sonntag beim Spiel Ungarn gegen Griechenland mit dem Schal gezeigt. Ein Foto davon postete er dann auch selbst auf Instagram. Viele Ungarn haben sich immer noch nicht mit dem Zerfall der Donaumonarchie, in deren Zuge zwei Drittel des ungarischen Staatsgebietes verloren gingen, abgefunden. Während Budapest zuvor ähnlich wie Wien über andere Völker geherrscht hatte, wurden damals viele Ungarn zu Minderheitenangehörigen in den neuen Nachbarstaaten.

Umgehender Protest gegen Orbáns Schal kam aus Rumänien, wo heute die größte ungarische Minderheit lebt. Das Außenministerium in Bukarest bezeichnete das Tragen des Schals durch den Regierungschef als "revisionistische Äußerung".

Entschuldigung gefordert

Das ukrainische Außenministerium forderte umgehend eine "Entschuldigung" und eine Klarstellung, wonach es keinerlei ungarische Ansprüche auf ukrainisches Staatsgebiet gebe. "Die Förderung von revisionistischen Ansichten in Ungarn trägt nicht zur Entwicklung der ukrainisch-ungarischen Beziehungen bei und entspricht nicht den Grundsätzen der europäischen Politik", sagte Außenamtssprecher Oleg Nikolenko am Dienstag. Die Beziehungen zwischen Kiew und Budapest sind gespannt, weil Orbán schon seit längerem die westliche Unterstützung für die Ukraine hinterfragt.

Burgenland als Teil Ungarns "unerträglich"

Österreichs Außenministerium reagierte dagegen mit Humor auf den Auftritt Orbáns. "Ein kurzer Blick auf die historischen Karten im Außenministerium hat erste Vermutungen bestätigt, wonach Transleithanien seit rund 100 Jahren nicht mehr existiert. Wir werden unsere ungarischen Nachbarn bei nächster Gelegenheit über diese Entwicklung informieren", hieß es am Dienstag in einer Stellungnahme. Diplomatische Schritte gegenüber Ungarn seien keine geplant, denn man nehme die Sache nicht ernst, so eine Sprecherin gegenüber der APA.

Weniger gelassen zeigten sich der Grüne Koalitionspartner und die SPÖ. SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried forderte von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) eine Einbestellung des ungarischen Botschafters. "Dieser Geschichtsrevisionismus ist unerträglich", kritisierte Leichtfried. Orbán stelle damit auch Österreichs territoriale Souveränität in Frage.

Die Grünen forderten eine sofortige Entschuldigung seitens Orbán und des ungarischen Botschafters in Österreich, Andor Nagy. Die Provokation Orbáns in Zeiten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sei "provokant und inakzeptabel", so der Europasprecher der Grünen, Michel Reimon. Die FPÖ kritisierte die Aufregung als "lächerlich" und sprach von "plumpen Ungarn-Bashing".

Kroatischer Seitenhieb auf Nachbarn

Auch aus der Slowakei und Tschechien kam Kritik. Der slowakische Außenminister Rastislav Kacer sprach von "bizarren Aktivitäten" der ungarischen Regierung, die in den EU-Ländern ihresgleichen suchen würden, wie die tschechische Nachrichtenagentur CTK berichtete. "Irredenta und Revisionismus" dürften in den gegenseitigen Beziehungen keinen Platz haben, denn "die Folgen solcher Gefühle und Pläne waren 1939 zu sehen und sind derzeit in der Ukraine live zu erleben, wie die russische Aggression zeigt", so Kacer. Sein tschechischer Amtskollege Jan Lipavsky sprach von einer "inakzeptablen Provokation" des ungarischen Regierungschefs.

Der kroatische Regierungschef Andrej Plenković betonte am Montag, die Aufnahmen nicht gesehen zu haben. "Ich komme nicht dazu, mich mit den Schals anderer Leute zu befassen", sagte er laut kroatischer Nachrichtenagentur HINA. "Was die territorialen Ansprüche auf Kroatien durch irgendjemanden, einschließlich Ungarn, angeht, sind sie absolut inakzeptabel, für uns ist das keine Option", stellte der konservative Politiker klar.

Staatspräsident Zoran Milanović riet von einer offiziellen Reaktion Zagrebs ab. "Ich muss darüber lachen. Seine Ambitionen auf Kroatien beschränken sich darauf, dass er im August einen Monat lang an der Adria herumkreuzt und wir uns zum Abendessen treffen", sagte Milanović mit Blick auf Orbán. Man dürfe keine besondere Aufmerksamkeit darauf verwenden. "Wenn man sich anschaut, welche Nachbarn wir haben, ist dieser noch der beste", meinte der Präsident.

Orbán selbst wies am Dienstag die Kritik an seinem Auftritt zurück. Fußball sei keine Politik, erklärte der rechtsnationale Politiker auf seiner Facebook-Seite und empfahl nicht hineinzuinterpretieren, was es nicht gebe. Die ungarische Nationalelf sei die Mannschaft aller Ungarn, egal wo sie leben würden.