In der kurdischen Stadt Mahabad im Nordwesten des Irans ist es Augenzeugen zufolge bei Protesten zu massiver Gewalt gekommen. Demnach sollen Polizei- und Sicherheitskräfte am Samstagabend mit Panzern in die Stadt einmarschiert sein und wahllos auf Demonstranten geschossen haben. Auch der Strom in der Stadt wurde demnach kurzfristig abgeschaltet. Die Situation sei eskaliert - zahlreiche Einwohner wurden verletzt, wie Augenzeugen berichteten.
Unklar war, ob es auch Tote gegeben hat. Die Schilderungen ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die regierungsnahe Nachrichtenagentur Tasnim stellte die Situation anders dar: In der Nacht zum Sonntag hätten "bewaffnete Terroristen" Privathäuser und öffentliche Einrichtungen in Brand gesetzt und die ganze Stadt und deren Einwohner in Panik versetzt. Mehrere Anführer der "Terrorgruppen" hätten jedoch überführt und inhaftiert werden können, so der Tasnim-Bericht unter Berufung auf örtliche Sicherheitsbehörden.
Tausendfach geteilte Videos
Tausendfach in den sozialen Medien geteilte Videos zeigten Militärkonvois, die durch die Straßen fuhren. Die in Oslo ansässige Menschenrechtsorganisation Hengaw berichtete von Helikoptern, die über dem Himmel der kurdischen Stadt kreisten. Ort und Zeit der Aufnahmen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Medienberichten zufolge gab es am Samstagabend auch in anderen Teilen des Landes erneut Proteste gegen den repressiven Kurs der islamischen Führung.
Ermittlungen gegen Prominente
Die iranische Justiz leitete unterdessen Medienberichten zufolge Ermittlungsverfahren gegen mehrere Prominente aus Politik, Film und Sport ein. Zwei ehemalige Abgeordnete, fünf Schauspielerinnen und ein Fußballtrainer wurden demnach zum Verhör vorgeladen. Ihnen werde vorgeworfen, sich in den sozialen Medien "provokant und beleidigend" Offiziellen gegenüber geäußert zu haben.
Falls die Ermittlungen zu einer Anklage gegen die acht führen sollten, droht ihnen ein längerfristiges Arbeitsverbot. Alleine die Unterstützung für die systemkritischen Proteste, insbesondere von Prominenten in sozialen Medien, wird von der Justiz als Gefährdung der nationalen Sicherheit bewertet. Die iranische Führung sieht in den Protesten eine westliche Verschwörung mit dem Ziel, einen Regimewechsel in dem Land einzuleiten.
Bisher 378 Menschen getötet
Bei den seit über zwei Monaten andauernden Protesten nach dem Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini im Iran sind der Organisation Iran Human Rights (IHR) zufolge bisher 378 Menschen getötet worden, darunter 47 Kinder. Bei jüngsten Protesten in der Provinz Kurdistan erschossen Sicherheitskräfte laut der in Norwegen ansässigen Menschenrechtsgruppe Hengaw mindestens drei Menschen. Teheran beschuldigte westliche Länder, darunter auch Deutschland, "die Lage im Iran zu beeinflussen".
Der Organisation IHR zufolge betreibt die Führung in Teheran mit Blick auf eine Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in der kommenden Woche eine "Lügen-Kampagne". So schreibe die Regierung die Tötung von Demonstranten der Jihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu und wolle dies "als Vorwand für einen breiteren Einsatz von scharfer Munition nutzen", sagte der IHR-Vorsitzende Mahmood Amiry-Moghaddam der Nachrichtenagentur AFP.
Einsatz tödlicher Waffen erhöht
Auch die Menschenrechtsgruppe Hengaw sagte der AFP, die Sicherheitskräfte hätten den "Einsatz von tödlichen Waffen bei Angriffen auf Demonstranten in den vergangenen fünf Tagen deutlich erhöht". Bei dem jüngsten Vorfall am Samstag schossen laut Hengaw regierungsnahe Einsatzkräfte "in der Stadt Diwandarreh auf Demonstranten und töteten "mindestens drei Zivilisten".
Hengaw zufolge flammten auch in der westiranischen Stadt Bukan Proteste auf. Dort waren den Aktivisten zufolge zuvor Mitglieder der berüchtigten Islamischen Revolutionsgarde am Freitagabend in ein Krankenhaus eingedrungen und hatten den Leichnam eines getöteten Demonstranten "beschlagnahmt und ihn heimlich begraben". Zudem hätten sie auf seine Familie geschossen und "mindestens fünf Menschen" verletzt.
Heimlich Tote begraben
Aktivisten werfen den iranischen Sicherheitskräften vor, getötete Demonstranten heimlich zu begraben, um zu verhindern, dass ihre Beerdigung weitere Proteste gegen die iranische Staatsführung auslösen.
Die mittlerweile seit zwei Monaten andauernde Protestwelle im Iran wurde durch den Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini ausgelöst. Die 22-Jährige war von der sogenannten Sittenpolizei verhaftet worden, weil sie ihr islamisches Kopftuch nicht den Regeln entsprechend getragen haben soll. Sie starb kurze Zeit später im Krankenhaus.
Teheran geht hart gegen die Demonstrierenden vor. Irans geistlicher Führer Ayatollah Ali Khamenei kündigte am Samstag "Bestrafung" für "Morde" und Vandalismus während der Proteste an. Das Staatsfernsehen zitierte ihn mit den Worten, ausländische Mächte versuchten, "die Menschen auf die Straße zu bringen" und "die Behörden zu erschöpfen", was ihnen jedoch nicht gelungen sei.
Iran beschuldigt den Westen
Der Iran beschuldigt unter anderem Großbritannien, Israel und die USA, die Proteste zu schüren. Das iranische Außenministerium kritisierte am Samstag das "absichtliche Schweigen ausländischer Förderer von Chaos und Gewalt im Iran angesichts (...) terroristischer Aktionen in mehreren iranischen Städten". Es sei "die Pflicht der internationalen Gemeinschaft", die "jüngsten Terroranschläge im Iran zu verurteilen und Extremisten keinen sicheren Hafen zu bieten", hieß es weiter.
Am Mittwoch waren bei zwei getrennten Anschlägen in den Städten Ise und Isfahan zehn Menschen getötet worden, darunter eine Frau, zwei Kinder und ein Sicherheitsbeamter, wie staatliche Medien und ein Krankenhaus berichteten.
In der nordöstlichen Stadt Maschhad wurden der staatlichen Nachrichtenagentur Irna zufolge zudem zwei Mitglieder der regierungsnahen Basij-Miliz erstochen, als sie versuchten, gegen "Randalierer" einzuschreiten. Ein Verdächtiger sei inzwischen festgenommen worden, hieß es auf der Website der Justiz.
Der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian wiederholte unterdessen die Vorwürfe gegen die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, sie versuchten, "maximalen Druck" auf Teheran auszuüben. In den vergangenen Tagen und Wochen hätten "die Feinde der Islamischen Republik versucht, die Lage im Iran zu beeinflussen".