Amerika wacht auf und ist so schlau wie in der Nacht zuvor. Nach dem 8. November, einer wie selten heiß umkämpften Kongresswahl der jüngeren Geschichte, ist immer noch nicht klar, wer gewonnen hat, Demokraten oder Republikaner, und um wie viel. Der von Letzteren erhoffte große Sieg, die "Red Wave" blieb aus, aber ob die Demokraten ihren Stand halten konnten, ist auch zwei Tage danach noch unklar.
Leitartikel
Der US-Kongress besteht aus dem Repräsentantenhaus und dem wichtigeren Senat. Hier haben die Republikaner einen Heimvorteil, denn die weißen, bevölkerungsarmen Staaten des Mittelwestens haben genauso zwei Senatoren wie große Staaten mit hohen Anteilen von Afroamerikanern, Hispanics und Asiaten wie Kalifornien oder New York. Beim Repräsentantenhaus hingegen geht es nach der Einwohnerzahl.
Senat und Repräsentantenhaus: Der aktuelle Stand:
435 Abgeordnete hat das Haus; 218 sind für die Mehrheit notwendig. Zur Stunde haben die Republikaner 198 und die Demokraten 175 Sitze ergattert. Im Senat mit seinen 100 Sitzen steht es nun 48 (Demokraten) zu 47 (Republikaner). Das viel beachtete Rennen zwischen dem Republikaner Herschel Walker und dem Demokraten Raphael Warnock um den Senatssitz in Georgia ist noch nicht ausgezählt, auch nicht Nevada und Arizona. Hauptgrund dafür sind die Briefwahlen, die erst nach dem Urnengang ausgewertet werden. Bis zu einem Monat könnte es dauern, bis das finale Ergebnis bekannt ist, schätzt die "New York Times".
Ron DeSantis ist großer Wahlsieger – und Trumps Herausforderer
Klar ist allerdings: Der Mann der Stunde ist Ron DeSantis. Der Gouverneur von Florida, der sich als die bessere und effektivere Version von Donald Trump verkauft, hat mit komfortablem Abstand gewonnen – und hat in seinem Heimatstaat 15 Prozent mehr geholt als Trump bei der Präsidentschaftswahl von 2020. Ein bisschen Nachhilfe hatte er aber schon: Mehrere Wahlbezirke wurden neu zugeschnitten und Afroamerikaner mit Tricks am Wählen gehindert. Und seine liberale Coronapolitik hat Besorgte vertrieben, während Masken- und Impfgegner nach Florida zogen.
DeSantis wird wohl nun als Nächstes das Weiße Haus anstreben. Der Gouverneur, der gegen die "Woke Agenda" kämpfen will, ist ein harter Abtreibungs- und Immigrationsgegner, wie auch der ebenfalls wiedergewählte Gouverneur Greg Abbott in Texas. Aber damit zu gewinnen, ist eher eine Ausnahme. Nach dem Urteil des Supreme Court, der das Recht auf Abtreibung kippte, haben die Demokraten das zu ihrem zentralen Wahlkampfthema gemacht; offenbar nicht zu Unrecht. In Staaten wie Kentucky, wo Abtreibungsgegner antraten, verloren die Republikaner.
Das Ende der Ära Trump?
Außerdem: Die Trumpocalypse ist wohl vorbei. Zwar unterstützte der omnipräsente Trump seine Lieblinge überall, wie Marjorie Taylor Greene aus Georgia, die einmal sagte, an den Waldbränden in Kalifornien seien "Weltraum-Laser" schuld, die von jüdischen Bankern finanziert würden. Oder Anna Paulina Luna aus Florida, die wie Taylor Greene dem hart rechten "House Freedom Caucus" angehört.
Die 34-jährige Luna, geboren als Anna Paulina Mayerhofer, hielt sich aber beide Seiten offen; sie dankte sowohl Trump als auch DeSantis. Und andere, die auf dem Trump-Ticket gewonnen hatten, blieben noch kühler. J.D. Vance in Ohio, für dessen Senatskandidatur sich der Ex-Präsident eingesetzt hatte, erwähnte den in seiner Siegesrede gar nicht. Und Tim Scott, Senator für South Carolina, flirtete nach seinem Wahlsieg mit der Idee, selber Präsident zu werden. "Die Trump-Kandidaten haben uns nach unten gezogen", sagte Bill Palatucci, Republikaner aus New Jersey zur Washington Post. "Die demokratischen Wähler wollten allen klarmachen, dass sie gegen Trump sind, auch wenn der gar nicht antrat."
Trump selbst wurde am Wahltag nicht einmal auf seinem Lieblingssender Fox News gesichtet. Der Ex-Präsident setzt inzwischen ohnehin lieber auf neuere, noch rechtere Medien wie One American TV, wo Überzeugte zu Überzeugten sprechen. "Wenn die Republikaner gewinnen, ist das alleine mein Verdienst", sagte er vor der Wahl zu OA-TV. "Aber wenn die verlieren, daran trage ich überhaupt keine Schuld." Das heißt aber noch lange nicht, dass er in der Versenkung verschwindet. Noch in der Wahlnacht begann er, Abtrünnige zu attackieren. Über DeSantis sagte er, wenn der kandidiere, werde er Dinge über ihn verraten, die nicht schmeichelhaft seien. Wenn Trump abtritt, wird er alles tun, die Republikaner mit sich zu reißen.
Biden und Pelosi sind wohl bald Polit-Geschichte
Allerdings dürften auch Joe Bidens Tage als Präsident gezählt sein. Mehrere demokratische Wahlgewinner, allen voran der deutlich jüngere kalifornische Gouverneur Gavin Newsom, scharren schon mit den Hufen. Auch die Zeit von Nancy Pelosi, die demokratische Mehrheitsführerin, ist wohl Geschichte. Selbst wenn Demokraten überraschenderweise das Haus doch halten, die 83-jährige Kalifornierin denkt seit dem Attentat auf ihren Mann Paul über den Ruhestand nach.
Eva Schweitzer (New York)